Ein Earl mit Mut und Leidenschaft
er endlich das Gewicht von seinem verletzten Bein nehmen konnte, seufzte er erleichtert auf.
Das war nicht gespielt. Er log ihn vielleicht in anderer Hinsicht an, aber das hier war echt. Daniel hatte Hughs Bein gesehen. Es war verkrüppelt und verwachsen, Hughs bloße Existenz ein schier unmögliches Kunststück der Medizin. Dass er das Bein überhaupt belasten konnte, war ein reines Wunder.
„Stört es dich, wenn ich mir einen Drink genehmige?“, fragte Hugh. Er legte den Stock auf einem Tisch ab und begann sein Bein zu massieren. Er gab sich keine Mühe, den Schmerz in seiner Miene zu verbergen. „Da drüben“, sagte er und nickte in Richtung eines Schränkchens.
Daniel ging hinüber und holte eine Flasche Brandy heraus. „Zwei Finger breit?“
„Drei. Bitte. Es war ein langer Tag.“
Daniel goss den Brandy ein und brachte ihn Hugh. Er selbst hatte seit jener schicksalhaften Nacht keinen Alkohol mehr angerührt, aber er hatte auch kein zerschmettertes Bein, das betäubt werden musste.
„Danke“, sagte Hugh halb stöhnend, halb flüsternd. Er nahm einen großen Schluck, und dann noch einen, schloss die Augen, während ihm die feurige Flüssigkeit die Kehle hinabrann. „So“, sagte er, nachdem er sich wieder gefasst hatte. Er stellte das Glas ab und sah auf. „Man hat mir erzählt, deine Verletzungen stammen von einer Auseinandersetzung mit Lord Chatteris.“
„Das war eine andere Sache“, erklärte Daniel wegwerfend. „Ich wurde auf dem Heimweg heute Abend von zwei Männern überfallen.“
Hugh richtete sich auf, sein Blick wurde scharf. „Haben sie etwas gesagt?“
„Sie wollten Geld.“
„Und sie wussten, wer du bist?“
Daniel schüttelte den Kopf. „Zumindest haben Sie mich nicht mit meinem Namen angesprochen.“
Hugh schwieg eine ganze Weile und meinte dann: „Möglich, dass es ganz normale Straßenräuber waren.“
Daniel verschränkte die Arme und starrte ihn an.
„Ich habe dir doch gesagt, dass ich meinem Vater ein Versprechen abgenommen habe“, sagte Hugh ruhig. „Er wird dich nicht anrühren.“
Daniel wollte ihm glauben. Eigentlich glaubte er ihm wirklich. Hugh war kein Lügner. Rachsüchtig war er auch nicht. Aber vielleicht war Hugh ja getäuscht worden?
„Woher weiß ich, dass ich deinem Vater trauen kann?“, fragte Daniel. „Er hat die letzten drei Jahre damit zugebracht, mir nach dem Leben zu trachten.“
„Und ich habe die letzten drei Jahre damit zugebracht, ihn davon zu überzeugen, dass ich an dem hier ... “, Hugh hielt einen Moment inne und deutete auf sein versehrtes Bein, mindestens genauso schuld bin wie du.“
„Das wird er nie so sehen.“
„Nein“, stimmte Hugh zu. „Er ist ein störrischer Esel. War er schon immer.“
Es war nicht das erste Mal, dass Daniel seinen Freund so von seinem Vater reden hörte, aber es bestürzte ihn dennoch. Etwas an Hughs offenem Ton irritierte ihn.
„Wie kann ich mich darauf verlassen, dass ich in Sicherheit bin?“, fragte Daniel. „Ich bin auf dein Wort, deine Zusage hin nach England zurückgekommen, dass dein Vater zu seinem Versprechen stehen würde. Wenn mir etwas zustößt oder, Gott sei dir gnädig, meiner Familie, werde ich dich bis ans Ende der Welt verfolgen.“
Hugh brauchte nicht darauf hinzuweisen, dass es zu keinen Verfolgungsjagden kommen würde, wenn Daniel tot war.
„Mein Vater hat einen Vertrag unterschrieben“, sagte Hugh. „Du kennst ihn.“
Daniel besaß sogar eine Abschrift. Genau wie Hugh und Lord Ramsgate, und Hughs Anwalt, der strikte Anweisung hatte, den Vertrag gut verschlossen aufzubewahren. Und doch ...
„Er wäre nicht der Erste, der ein unterschriebenes Dokument ignoriert“, gab Daniel leise zu bedenken.
„Wohl wahr.“ Hugh machte ein verkniffenes Gesicht, und die Schatten unter seinen Augen schienen noch dunkler zu werden als ohnehin schon. „Das hier wird er aber nicht ignorieren. Dafür habe ich gesorgt.“
Daniel dachte an seine Familie, an seine Schwester und seine Mutter, an seine übermütig kichernden Pleinsworth-Cousinen, die er gerade erst neu kennenlernte. Und er dachte an Miss Wynter, vor allem an Miss Wynter. Wenn ihm etwas zustieß, bevor er ihr näher kommen konnte ...
Wenn ihr etwas zustieß ...
„Ich muss wissen, warum du dir so sicher bist“, sagte Daniel gereizt.
„Nun ..." Hugh führte erneut das Glas an die Lippen und nahm einen Schluck. „Wenn du es unbedingt wissen willst, ich habe ihm gesagt, dass ich mich umbringen würde, wenn
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