Ein Earl mit Mut und Leidenschaft
Wynter.
„Ah“, sagte sie, und Daniel war davon überzeugt, dass sie auf Zeit setzte, „aus meiner langjährigen Erfahrung als Gouvernante weiß ich, dass meine Begabung nicht auf darstellerischem Gebiet liegt. Ich möchte ihren jungen Geist nicht mit einer so traurigen Versagerin wie mir vergiften.“
„Ihre schauspielerischen Gaben können kaum schlimmer sein als meine.“
Sie zog die Augenbrauen nach oben. „Das mag richtig sein, aber Sie sind ja auch nicht ihre Gouvernante.“
Er zog ebenfalls die Augenbrauen nach oben. „Das ist in jedem Fall richtig, aber wohl kaum relevant.“
„Au contraire“, rief sie mit sichtlichem Genuss. „Als männlicher Verwandter erwartet man von Ihnen nicht, ein leuchtendes Beispiel damenhaften Betragens zu sein.“
Er beugte sich vor. „Das macht Ihnen Spaß, stimmt’s?“
Sie lächelte. Ein wenig. „Sehr.“
„Das hier könnte vielleicht noch besser sein als Harriets Stück“, erklärte Frances und blickte gemeinsam mit ihren Schwestern wieder zu Daniel.
„Ich schreibe mit“, sagte Harriet.
Daniel schaute sie an. Er konnte nicht anders. Er wusste genau, dass das einzige Hilfsmittel, das sie in der Hand hielt, eine Gabel war.
„Nun, ich präge es mir ein, damit ich es irgendwann später aufschreiben kann“, räumte sie ein.
Daniel wandte sich wieder Miss Wynter zu. Sie sah schrecklich korrekt aus, wie sie da so kerzengerade auf ihrem Stuhl saß, das dunkle Haar zum Gouvernantenknoten frisiert, jede Locke fein säuberlich festgesteckt. Nichts an ihr war auch nur im Entferntesten ungewöhnlich, und doch ...
War sie strahlend schön.
Zumindest in seinen Augen. Vermutlich in den Augen aller Männer Englands. Wenn Harriet, Elizabeth und Frances es nicht wahrnahmen, dann wohl deswegen, weil sie eben Mädchen waren. Junge Mädchen, die sie noch nicht als Rivalin betrachteten. Ihr Blick war weder von Eifersucht noch von Vorurteil getrübt, und so sahen sie Miss Wynter, wie sie, so vermutete er, gesehen werden wollte - loyal, intelligent, geistreich und klug.
Und natürlich hübsch. Es war wirklich seltsam, er hatte keine Ahnung, wie er auf die Idee gekommen war, doch er hatte den Eindruck, dass Miss Wynter es gefiel, wenn man sie hübsch fand, es aber hasste, als schön zu gelten.
Und das faszinierte ihn wirklich.
„Bitte verraten Sie mir doch, Miss Wynter“, meinte er nun, wobei er seine Worte sorgfältig wählte, „haben Sie denn überhaupt versucht , in einem von Harriets Stücken mitzuspielen?“
Sie presste die Lippen aufeinander. Er hatte sie mit einer Frage in die Enge gedrängt, auf die es nur Ja oder Nein als Antwort gab, und darüber war sie überhaupt nicht glücklich. „Nein“, gestand sie schließlich.
„Sind Sie nicht der Meinung, dass es dann langsam Zeit wird?“
„Eigentlich nicht, nein.“
Er fixierte sie entschlossen. „Wenn ich mitmache, machen Sie auch mit.“
„Das wäre hilfreich.“ Harriet war augenscheinlich ganz begeistert. „Es treten zwanzig Charaktere auf, und ohne Sie müsste jeder von uns fünf spielen.“
„Wenn Sie mitmachen“, pflichtete Frances ihrer Schwester bei, „müsste jeder nur vier übernehmen.“
„Was einer Reduktion um zwanzig Prozent gleichkommt!“, schloss Elizabeth triumphierend.
Daniel hatte immer noch das Kinn in die Hand gestützt, daher neigte er den Kopf ein wenig, um den Eindruck angestrengten Überlegens zu vermitteln. „Wollen Sie Elizabeth denn nicht loben für die hervorragende Anwendung ihrer Rechenkenntnisse, Miss Wynter?“
Sie sah aus, als würde ihr jeder Moment der Kragen platzen, was er ihr nicht verübeln konnte, da sich doch alle gegen sie verschworen hatten. Aber die Gouvernante in ihr konnte nicht anders, sie musste einfach einen Kommentar abgeben: „Ich habe euch doch gesagt, dass ihr es einmal nützlich finden werdet, Kopfrechnen zu können.“
Harriets Augen begannen vor Aufregung zu leuchten. „Heißt das, dass Sie auch mitmachen?“
Daniel war sich nicht ganz sicher, wie sie zu dieser Interpretation gelangt war, ließ sich die Gelegenheit aber nicht entgehen, seiner Cousine beizuspringen. „Bravo, Miss Wynter. Wir alle müssen hin und wieder unser vertrautes Terrain verlassen. Ich bin ja so stolz auf Sie.“
Der Blick, den sie ihm zuwarf, besagte überdeutlich: Sie kriege ich auch noch, Sie aufgeblasener Wicht. Aber so etwas hätte sie natürlich niemals vor den Kindern äußern können, was bedeutete, dass er vergnügt dabei zusehen konnte, wie sie
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