Ein Earl mit Mut und Leidenschaft
gefährden, vor allem jemanden in Daniels Position. Er war der Earl of Winstead, Himmel noch mal. Der Tod einer Gouvernante würde vermutlich nicht weiter untersucht werden, aber der Tod eines Earls?
George war verrückt. Oder zumindest noch verrückter als zuvor. Eine andere Erklärung gab es nicht.
„Vor ein paar Stunden sind die Pferde zurückgekommen“, fuhr Lady Pleinsworth fort. „Die Stallburschen wurden ausgeschickt, das Karriol zu holen, und da haben sie es dann entdeckt. Es war eindeutig ein Anschlag, die angebliche Bruchstelle war ganz gerade und glatt. Brüchiges Leder hätte anders ausgesehen.“
„Ja“, sagte Anne und versuchte, das alles zu begreifen.
„Sie haben nicht zufällig vergessen, uns über einen ruchlosen Feind aus Ihrer Vergangenheit in Kenntnis zu setzen?“, fragte Lady Pleinsworth.
Annes Kehle war plötzlich wie ausgedörrt. Sie würde lügen müssen. Eine andere Möglichkeit...
Doch anscheinend hatte Lady Pleinsworth sich in ein wenig Galgenhumor geübt, denn sie wartete nicht auf Antwort. „Ramsgate muss es gewesen sein“, sagte sie. „Verdammt noch mal, der Mann ist doch völlig übergeschnappt.“
Anne konnte sie nur anstarren, nicht sicher, ob sie nun erleichtert sein sollte, weil ihr die Sünde der Lüge erspart worden war, oder entsetzt ob Lady Pleinsworth’ wenig damenhafter Ausdrucksweise.
Vielleicht hatte Lady Pleinsworth ja recht. Vielleicht hatte das alles nichts mit Anne zu tun, und der Marquess of Ramsgate war tatsächlich der Schurke. Er hatte Daniel vor drei Jahren aus dem Land gejagt, bestimmt würde es zu ihm passen, ihn jetzt ermorden lassen zu wollen. Und ihm wäre es sicherlich egal, wenn dabei auch eine Gouvernante getötet würde.
„Er hat Daniel doch versprochen, dass er ihn ab sofort in Ruhe lassen würde“, tobte Lady Pleinsworth und lief im Zimmer auf und ab. „Das ist der einzige Grund, warum er zurückkam, müssen Sie wissen. Er dachte, er sei in Sicherheit. Lord Hugh ist bis nach Italien gereist, um ihm mitzuteilen, dass sein Vater versprochen hätte, mit dem ganzen Unsinn aufzuhören.“ Sie schnaubte, ballte die Hände zu Fäusten. „Drei Jahre ist das nun her. Drei Jahre lang war er im Ausland. Ist das nicht genug? Daniel hat seinen Sohn nicht mal umgebracht. Er war nur verwundet.“
Anne schwieg; sie war sich nicht im Klaren darüber, ob sie sich aktiv an diesem Gespräch beteiligen sollte.
Doch dann wandte sich Lady Pleinsworth um und sah sie direkt an. „Ich nehme an, dass Sie die Geschichte kennen.“
„In groben Zügen, glaube ich.“
„Ja, natürlich. Die Mädchen haben Ihnen sicher alles erzählt. “ Sie verschränkte die Arme, um sie gleich darauf in die Luft zu werfen. Anne hatte ihre Dienstherrin noch nie so außer sich erlebt. Lady Pleinsworth schüttelte den Kopf und sagte dann: „Ich habe keine Ahnung, wie Virginia das alles erträgt. Es hat sie furchtbar unglücklich gemacht, als er das Land verlassen musste.“
Virginia musste Lady Winstead sein, Daniels Mutter. Anne hörte ihren Vornamen zum ersten Mal.
„Tja“, sagte Lady Pleinsworth nachdenklich und fügte dann hinzu: „Ich meine, Sie können jetzt wohl schlafen. Die Sonne ist untergegangen.“
„Danke“, sagte Anne. „Bitte richten Sie ..." Doch sie unterbrach sich.
„Haben Sie etwas gesagt?“, erkundigte sich Lady Pleinsworth.
Anne schüttelte den Kopf. Es wäre unangemessen gewesen, Lady Pleinsworth zu bitten, sie solle Lord Winstead von ihr grüßen. Oder zumindest unklug.
Lady Pleinsworth tat einen Schritt zur Tür, hielt noch einmal inne. „Miss Wynter“, sagte sie.
„Ja.“
Langsam wandte sich Lady Pleinsworth um. „Eines noch.“
Anne wartete. Es sah ihrer Dienstherrin gar nicht ähnlich, mitten im Gespräch eine solche Pause einzulegen. Es verhieß nichts Gutes.
„Mir ist nicht entgangen, dass mein Neffe... Wieder hielt sie inne, möglicherweise suchte sie nach den richtigen Worten.
„Bitte“, platzte Anne heraus, überzeugt, dass ihre Anstellung an einem seidenen Faden hing. „Lady Pleinsworth, ich versichere Ihnen ...“
„Lassen Sie mich ausreden“, sagte Lady Pleinsworth, allerdings nicht unfreundlich. Sie hielt eine Hand hoch, um Anne zu bedeuten, dass sie schweigen möge, während sie sich sammelte. Gerade als Anne glaubte, es nicht länger auszuhalten, meinte sie: „Lord Winstead hat ja offenbar großen Gefallen an Ihnen gefunden.“ Anne betete innerlich, dass Lady Pleinsworth keine Antwort erwartete.
„Ich
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