Ein Earl mit Mut und Leidenschaft
völlig am Ende war, atmete er einmal tief durch und sagte: „Ich muss sofort mit ihr reden. Nur dieses eine Mal. Von mir aus auch in deinem Salon, mit offener Tür, aber ich muss darauf bestehen, dass das Gespräch unter vier Augen stattfindet.“
Seine Tante betrachtete ihn misstrauisch. „Nur dieses eine Mal?“
„Nur dieses eine Mal.“ Genau genommen stimmte das nicht, er wünschte sich sehr viel mehr als das, aber das war alles, worauf er in dieser Situation zu hoffen wagte.
„Ich werde darüber nachdenken“, erklärte sie naserümpfend.
„Tante Claire!“
„Ach, na schön, nur dieses eine Mal, und nur, weil ich glauben möchte, dass deine Mutter dich so erzogen hat, dass du zwischen Recht und Unrecht unterscheiden kannst.“
„Ach, Himmelherr...“
„Fluch nicht in meiner Gegenwart“, warnte sie ihn, „sonst muss ich mein Urteil revidieren.“
Daniel presste die Lippen zusammen und knirschte so heftig mit den Zähnen, dass er befürchtete, sie jeden Augenblick zu pulverisieren.
„Du kannst sie morgen besuchen“, bot Lady Pleinsworth ihm an. „Um elf Uhr morgens. Die Mädchen wollen mit Sarah und Honoria einkaufen gehen. Ich ziehe es vor, sie nicht im Haus zu haben, während du ...“ Sie schien nicht zu wissen, wie sie es beschreiben sollte, und so machte sie nur eine angewiderte Geste.
Er nickte, verneigte sich und ging.
Weder er noch seine Tante hatten Anne bemerkt, die die Szene durch die einen Spaltbreit offen stehende Tür des Zimmers nebenan beobachtet und jedes Wort in sich aufsogen hatte.
Anne wartete, bis Daniel verschwunden war, und blickte dann auf den Brief in ihrer Hand. Lady Pleinsworth hatte nicht gelogen: Sie war tatsächlich ausgegangen, um Besorgungen zu machen, war aber durch den Dienstboteneingang zurückgekommen, wie immer, wenn sie ohne die Mädchen unterwegs war. Sie war auf dem Weg in ihr Zimmer gewesen, als sie Daniel in der Halle gehört hatte. Natürlich hätte sie nicht lauschen sollen, aber sie hatte nicht anders gekonnt. Es war ihr dabei gar nicht so sehr darum gegangen, was er sagte, sie hatte einfach seine Stimme hören wollen.
Es wäre das letzte Mal.
Der Brief kam von ihrer Schwester Charlotte, und er war schon ein wenig älter, da er bereits vor ihrem Aufbruch nach Whipple Hill in der Poststelle eingetroffen war und seitdem dort auf sie gewartet hatte. In der Poststelle, der sie damals, als sie verängstigt in das Geschäft des Schuhmachers gerannt war, keinen Besuch mehr abgestattet hatte. Wenn sie den Brief gelesen hätte, bevor sie George Chervil gesehen hatte, hätte sie keine Angst gehabt.
Sie wäre vor Furcht außer sich gewesen.
Laut Charlotte war er wieder einmal zu ihnen gekommen, diesmal in Abwesenheit von Mr und Mrs Shawcross. Erst hatte er versucht, Charlotte durch Schmeicheleien dazu zu bringen, ihm Annes Aufenthaltsort zu verraten, dann hatte er gekeift und geschrien, bis die Dienstboten herbeigeeilt waren, weil sie um Charlottes Sicherheit bangten. Dann war er gegangen, aber nicht, ehe er offenbart hatte, dass er wusste, dass Anne momentan bei einer vornehmen Familie als Gouvernante arbeitete und zwar vermutlich in London. Laut Charlotte hatte er wohl keine Ahnung, für wen Anne genau arbeitete, sonst hätte er sie ja nicht so bedrängen müssen, um ihr diese Information zu entlocken.
Trotzdem machte sie sich Sorgen und bat Anne, besondere Vorsicht walten zu lassen.
Anne knüllte den Brief zusammen und sah dann zu dem fröhlich flackernden Feuer im Kamin. Sie verbrannte Charlottes Briefe immer, nachdem sie sie gelesen hatte. Sonst fiel ihr das sehr schwer, die dünnen Blätter Papier waren ihre einzige Verbindung zu ihrem alten Leben, und mehr als einmal hatte sie an ihrem kleinen Schreibtisch gesessen und mit den Tränen gekämpft, während sie Charlottes vertraute Handschrift mit einer Fingerspitze nachzeichnete. Doch Anne machte sich keine Illusionen, was ihre Privatsphäre als Dienstbotin anging, und sie hatte keine Idee, wie sie die Briefe erklären sollte, wenn sie je entdeckt würden. Diesmal jedoch warf sie den Brief mit Freuden ins Feuer.
Nun, nicht mit Freuden. Sie bezweifelte, dass sie je wieder etwas mit Freuden tun würde. Doch sie genoss es, den Brief zu zerstören, so grimmig und zornig war sie.
Sie schloss die Augen, kniff sie fest zusammen, um die Tränen zurückzudrängen. Inzwischen war sie sich sicher, dass sie die Pleinsworths würde verlassen müssen. Und darüber war sie so wütend. Das war die beste
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