Ein Earl mit Mut und Leidenschaft
wäre. Und Anne beinahe nackt dagestanden hätte. „Aaaargh!“, rief sie. Sie war so ungehalten, dass sie am liebsten irgendwo gegen geboxt hätte. Als sie aufblickte, sah sie Daniel, der einfach nur dastand und sie beobachtete, und sie hätte am liebsten laut geschrien, so verdammt zornig war sie. Auf ihn, auf George Chervil, auf das dreimal verdammte Laken, das sich dauernd zwischen ihre Beine wickelte. „Gehst du jetzt endlich?“, herrschte sie ihn an. „Jetzt, bevor noch irgendwer reinkommt.“
Er lächelte, doch es war nicht das Lächeln, das ihr vertraut war. Es war kalt und spöttisch, und es brach ihr beinahe das Herz. „Was würde dann wohl passieren?“, murmelte er. „Du mit nichts als dem Laken. Ich ziemlich zerzaust.“
„Niemand würde darauf bestehen, dass wir heiraten“, giftete sie. „Das jedenfalls kann ich dir verraten. Du würdest fröhlich weiterleben wie zuvor, und ich würde ohne Zeugnis auf die Straße gesetzt werden.“
Er bedachte sie mit einem säuerlichen Blick. „Vermutlich behauptest du als Nächstes, dass ich das die ganze Zeit geplant hätte. Dich in den Ruin zu stürzen, bis du keine andere Wahl gehabt hättest, als meine Geliebte zu werden.“
„Nein“, erwiderte sie knapp, weil sie ihn nicht anlügen konnte, nicht in diesem Punkt. Und dann fügte sie freundlicher hinzu: „So etwas würde ich nie von dir denken.“
Er schwieg, betrachtete sie ernst. Er war gekränkt, das konnte sie sehen. Auch wenn er ihr keinen echten Heiratsantrag gemacht hatte, war es ihr irgendwie gelungen, ihn zurückzuweisen. Und sie fand es furchtbar, dass sie ihn verletzt hatte. Sie fand seinen Gesichtsausdruck furchtbar, und die Art, wie er die Arme steif an seinen Körper presste, und vor allem, dass nichts mehr sein würde wie zuvor. Sie würden nicht mehr miteinander plaudern. Sie würden nicht mehr miteinander lachen.
Sie würden sich nicht mehr küssen.
Warum hatte sie ihm Einhalt geboten? Sie hatte in seinen Armen gelegen, hatte ihn gespürt, Haut an Haut, und sie hatte ihn gewollt. Sie hatte ihn mit einer Leidenschaft begehrt, die sie sich nie hatte träumen lassen. Sie hatte ihn in sich spüren wollen, sie wollte ihn mit ihrem Körper ebenso lieben, wie sie ihn schon mit ihrem Herzen liebte.
Sie liebte ihn.
Lieber Gott.
„Anne?“
Sie reagierte nicht.
Daniel runzelte die Stirn. „Anne, geht es dir gut? Du bist ganz blass geworden.“
Es ging ihr nicht gut. Sie war sich nicht sicher, ob es ihr je wieder gut gehen würde.
„Mir geht es gut“, sagte sie.
„Anne ...“ Nun wirkte er besorgt, und er kam auf sie zu. Wenn er sie berührte, wenn er überhaupt nur eine Hand nach ihr ausstreckte, würde sie in ihrer Entschlusskraft wanken.
„Nein“, schrie sie beinahe, hasste es, wie ihre Stimme tief aus der Kehle drang. Es tat weh. Das Wort tat weh. Es tat ihr im Hals weh, in den Ohren, und ihm tat es auch weh.
Aber es war unumgänglich.
„Bitte nicht“, sagte sie. „Du musst mich in Ruhe lassen. Diese ... diese ..." Sie suchte nach einem passenden Wort, brachte es nicht über sich, das Ganze „Sache“ zu nennen. „Diese Gefühle zwischen uns ...“, sagte sie schließlich. „Daraus kann nichts werden. Das muss dir doch klar sein. Und wenn du dir auch nur das Geringste aus mir machst, gehst du jetzt.“
Aber er rührte sich nicht.
„Du gehst jetzt“, stieß sie beinahe weinend hervor und klang dabei wie ein verwundetes Tier. Was sie wohl auch war.
Noch ein paar Augenblicke stand er da wie versteinert, und dann erwiderte er leise und entschlossen: „Ich gehe, aber nur aus einem Grund. Ich fahre nach London, um die Angelegenheit mit Ramsgate zu erledigen, und dann - und dann“, sagte er mit Nachdruck, „reden wir.“
Schweigend schüttelte sie den Kopf. Noch einmal würde sie diese Tortur nicht aushalten. Es war zu schmerzlich, ihm zuzuhören, wie er Geschichten mit glücklichem Ausgang spann, die für sie niemals Wirklichkeit werden würden.
Er trat zur Tür. „Wir reden noch“, wiederholte er.
Erst nachdem er verschwunden war, flüsterte Anne: „Nein, werden wir nicht.“
16. Kapitel
London
Eine Woche später
Sie war wieder da.
Daniel hatte es von seiner Schwester gehört, die es wiederum von seiner Mutter hatte, und die wiederum direkt von seiner Tante.
Eine effizientere Kommunikationskette konnte er sich gar nicht vorstellen.
Eigentlich hatte er nicht erwartet, dass die Pleinsworths nach seiner Abreise noch so lang auf Whipple Hill bleiben
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