Ein eisiger Tod - Ein Inspector-Rebus-Roman
am Wochenende relativ frei. Und außerdem (und an dieser Stelle lächelte er immer und drückte Audreys Hand) war es ja nicht so, dass sie auf das Geld angewiesen gewesen wären. Was ein Glück war, da seine Aufwandsentschädigung als Councillor lediglich viertausendsiebenhundert Pfund jährlich betrug.
Und last but not least, gab er zu bedenken, war dies für das politische Leben der Stadt die wichtigste Zeit seit zwanzig Jahren. In sieben Wochen fanden Neuwahlen statt, und damit würde die Verwaltungsreform ihren Anfang nehmen, die aus der City of Edinburgh eine einheitliche Behörde mit der amtlichen Bezeichnung »City of Edinburgh Council« machen würde. Wie hätte er es sich leisten können, nicht im Zentrum dieser Veränderungen zu stehen?
In einem Punkt hatte allerdings Audrey gewonnen: Seine Sekretärin sollte eine ältere Frau sein, möglichst unscheinbar und reizlos. Helena Profitt entsprach diesen Anforderungen aufs i-Tüpfelchen.
Wenn er es sich recht überlegte, behielt er bei Diskussionen mit Audrey eigentlich nie das letzte Wort, nicht so richtig jedenfalls. Es endete immer damit, dass sie brüllte und keifte und anfing, mit Türen zu knallen. Ihn störte das nicht. Er war auf ihr Geld angewiesen. Ihr Geld gab ihm
Zeit. Wenn es ihm nur auch die Hölle dieser Donnerstagabende in der so gut wie ausgestorbenen Schule erspart hätte …!
Seine Sekretärin brachte immer ihre Strickarbeit mit, und er konnte daran, wie viel sie in der einen Stunde schaffte, ablesen, wie wenig an dem betreffenden Abend los gewesen war. Er betrachtete eine Weile ihre klappernden Nadeln und wandte sich dann wieder dem Brief zu, den er schrieb. Kein einfacher Brief; er mühte sich seit mittlerweile über einer Woche damit ab und hatte bislang nicht mehr zustande gebracht als die Adresse oben auf dem Blatt und darunter das Datum.
In der Schule herrschte Stille, die Korridore waren gut beleuchtet, die Heizkörper glühten. Der Hausmeister war irgendwo zugange, ebenso vier Putzfrauen. Sobald die Putzfrauen und der Councillor gegangen wären, würde der Hausmeister die Schule für die Nacht abschließen. Eine der Putzfrauen war um einiges jünger als die anderen und ziemlich gut gebaut. Er fragte sich, ob sie wohl in seinem Wahlbezirk wohnte, und sah wieder auf die Wanduhr. Noch zwanzig Minuten abzusitzen.
Er hörte etwas knallen und wandte sich zur Tür. Ein kleinwüchsiger Mann stand da und sah in seiner dünnen Bomberjacke und der schäbigen Hose entsetzlich durchgefroren aus. Seine Hände steckten tief in den Taschen seiner Jacke, und er schien nicht vorzuhaben, sie da rauszuholen.
»Sind Sie der Councillor?«, fragte der Mann.
Stadtverordneter Gillespie erhob sich und lächelte. Darauf wandte sich der Mann zu Helena Profitt. »Und wer sind Sie?«
»Meine Wahlbezirkssekretärin«, erklärte Tom Gillespie. Helena Profitt und der Mann schienen sich gegenseitig zu mustern. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Ja, können Sie«, sagte der Mann. Dann machte er den Reißverschluss seiner Jacke auf und zog eine abgesägte Schrotflinte hervor.
»Sie«, sagte er zu Miss Profitt, »verpissen sich.« Er richtete die Waffe auf den Councillor. »Sie bleiben.«
Helena Profitt lief schreiend aus dem Klassenzimmer und rannte fast die Putzfrauen über den Haufen. Ein Eimer fiel scheppernd um, und schmutziges Wasser ergoss sich über den Holzfußboden.
»Den hatt ich grad gebohnert!«
»Ein Gewehr, er hat ein Gewehr!«
Die Putzfrauen starrten sie an. Aus dem Klassenzimmer drang ein Knall wie von einem platzenden Autoreifen. Miss Profitt hatte sich bereits auf die Knie fallen lassen; die übrigen Frauen taten es ihr gleich.
»Herrgott, was war das? «
»Sie sagte, ein Gewehr.«
Und jetzt stand eine Gestalt in der Tür. Es war der Councillor. Er konnte sich nur mit Mühe auf den Beinen halten und sah genauso aus wie eines der Gemälde an den Wänden des Klassenzimmers, nur dass es keine Wasserfarbe war, was er da im Gesicht und in den Haaren hatte.
Rebus stand im Klassenzimmer und betrachtete die Bilder. Einige waren ziemlich gut. Die Farben stimmten nicht immer so ganz, aber die dargestellten Objekte ließen sich einwandfrei identifizieren. Blaues Haus, gelbe Sonne, braunes Pferd auf einer grünen Wiese, und ein roter Himmel mit weißlichen Spritzern von …
Oha.
Das Zimmer war durch die schlichte Maßnahme abgesperrt worden, dass man zwei Stühle in die offene Tür gestellt hatte. Die Leiche war noch da; sie lag, alle viere
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