Ein EKG fuer Trimmel
nicht mal mehr erinnern, ob er sich vielleicht nicht doch eine Sekunde lang halb über die Leiche gebeugt hat.
Nichts zu machen. Jedenfalls im Moment nicht.
Als Trimmel sich umdreht, sieht er, daß Jill Biegler sich die Szene ungewöhnlich interessiert angeschaut hat. Und, daß sie wirklich ein ungewöhnlich hübsches Mädchen ist, vor allem wenn sie lächelt, so wie jetzt.
Aber warum lächelt sie?
Noch am selben Abend sieht er sie nackt. Eine Aufregung jagt die andere.
Gegen 21 Uhr ist Jill Biegler nach Hause gekommen, in ihr möbliertes Zwei-Zimmer-Apartment, eine Teilwohnung bei einer Frau Herzog. Und gegen 23 Uhr geht Trimmel in die Funkleitzentrale. Er hat vergessen, den Taxifahrer suchen zu lassen, der Jake Tennessy am Nachmittag zu Fontenay gefahren hat.
Er sitzt herum, ziemlich abgeschlafft nach diesem mörderischen Totensonntag, und hört den Gesprächen zu. Unten in seiner Etage werden die ersten Berichte im Mordfall Tennessy geschrieben und die ersten Hefter angelegt. Ein paar rote Akten mehr, rot wie Mord. Es werden nicht die einzigen bleiben; das kann man sich auch ohne Computer ausrechnen.
Die Funkleitzentrale fragt die Taxizentrale in Sachen Computerzentrale.
»Wie heißt der Mann? Bernhard Schleifmann? Hat seit zweiundzwanzig Uhr Feierabend?«
Dann dürfte er entweder zu Hause sein oder noch in irgendeiner Kneipe ein Bier trinken, das er tagsüber nicht trinken durfte… Immerhin, man versucht’s.
»Peter neun, bitte kommen!«
»Hier Peter neun…«
»Fahren Sie Klosterstern« – Adresse folgt – »und versuchen Sie, den Taxifahrer Bernhard Schleifmann ausfindig zu machen. Er wird als Zeuge am Berliner Tor gebraucht… Nee, nee, ganz sauber; packt ihn in Watte und bringt ihn so schnell wie möglich her…«
»Danke!« sagt Trimmel.
»Keine Ursache.«
Um 23 Uhr 24, als Trimmel gerade abhauen will, zeigt sich, daß schon wieder was passiert ist. Ein Beamter in Hemdsärmeln, ein Stück weiter weg, winkt Trimmel aufgeregt zu.
»Ich krieg da gerade ne Gasvergiftung, Herr Trimmel«, sagt er, »Wiedestraße fünfundvierzig, eine gewisse Biegler… und ich dachte, wo wir dieselbe Dame heute von zu Hause abholen mußten auf Ihre Anordnung…«
»Ach, du Scheiße…«, sagt Trimmel. »Schönen Dank!«
Er rast so schnell los, daß er das Haus in der Wiedestraße noch vor dem ersten Streifenwagen erreicht; er kommt effektiv als erster nach dem Notarzt. Es steht nur eine Tür offen, eine Tür in der dritten Etage; das allerdings wird sich in wenigen Minuten ändern, denn die Polizeisirenen, hört man, sind schon unterwegs. Trimmel rennt die ältere Frau im Morgenrock in der Diele fast um.
»Wo?« fragt er.
Zweite Tür rechts.
Und da liegt sie. Nackt. Über ihr ein Mann.
»Raus!« sagt der Mann und macht weiter. Alles bei sperrangelweit geöffnetem Fenster.
»Trimmel, Kriminalpolizei!« Er streckt ihm die Dienstmarke hin. »Ich kenn das Mädchen…«
»Ja und?« sagt der Notarzt, ohne hinzugucken. »Sie sehen doch, daß…« Dann sagt er erst mal nichts mehr.
Jill Biegler ist bewußtlos; es sieht immerhin so aus, als habe sie gerade den Kopf bewegt. Ihre Haut hat die Rosenfarbe gasvergifteter Toter, überlegt Trimmel…
Tatsächlich: Gas! Jetzt erst registriert er bewußt diesen süßlichen Geruch, den er gleich zu Anfang in der Nase hatte, schon im Treppenhaus. »Kommt sie durch?«
»Ja, wahrscheinlich«, murrt der Arzt. »Wie oft muß ich Ihnen noch sagen^ daß Sie verschwinden sollen?«
Statt dessen sieht er sich im Zimmer um. Ein alter Gasheizofen gleich am Fenster. Die Anschlüsse sind dem Anschein nach intakt. Jills Sachen liegen auf einem Stuhl, auf der Sitzfläche die Dessous, unter dem Sitz stehen die Schuhe. Das Bett, auf dem sie liegt, ist ziemlich zerwühlt… Zurück zum Heizofen: der Gashahn ist geschlossen.
»Haben Sie den Hahn geschlossen?«
Der Arzt hat gerade den Blutdruck gemessen›»Ja, hab ich. Er war geöffnet; die Flamme war aus.«
In diesem Augenblick beginnt Jill sich unruhig herumzuwerfen, heftig zu würgen und sich zu erbrechen. Der Arzt stützt ihr den Kopf.
»Tun Sie doch was!« sagt Trimmel, hilflos und verwirrt vor dem vergifteten nackten Mädchen.
»Ich werf Sie raus!« grollt der Arzt wütend. »Ich häng Ihnen ein schreckliches Ding rein…«
Diesmal geht Trimmel tatsächlich. Und trifft in der Diele, durch die die Blaulichter der Polizei- und Rettungsfahrzeuge zucken, Frau Herzog in ihrem Morgenmantel. »Kommen Sie doch mal mit«,
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