Ein endloser Albtraum (German Edition)
nicht abgenommen. Dass Fi keinen Widerstand leisten würde, war offensichtlich. Und ich glaube, er hatte mehr im Sinn als sie bloß gefangen zu nehmen. Wie ein Fuchs, der ein lammendes Mutterschaf entdeckt hat, kam er nun rasch näher. Er war kein großer Mann; eher noch ein Junge, in unserem Alter wahrscheinlich und von ähnlich schmaler Statur wie Chris. Er trug keine Mütze und nur eine leichte Uniform, die für den Sommer geeignet schien, jedoch nicht für den Herbst oder Winter. Außer seinem Gewehr schien er keine Waffe zu haben. Als er unbeirrt auf Fi zuging, kam ich hinter meinem Baum hervor und folgte ihm. In mir war nichts als die reine Angst und ich wusste immer noch nicht, was ich tun würde. Ich konnte nicht glauben, was ich im Begriff war zu tun. Den Stein hielt ich fest in der Hand, bemerkte nun aber auch, dass Fi ihren fallen gelassen hatte. Der Mann war nur noch zehn Schritte von Fi entfernt. Ich war direkt hinter ihm, außer Stande, irgendetwas zu unternehmen. Als wartete ich auf einen Auslöser, etwas, das mich zwingen würde mehr zu tun, als ihm hilflos zu folgen.
Dann lieferte er den Auslöser selbst. Er musste mich gehört haben, denn auf einmal begann er sich umzudrehen und hob dabei die Hand. Ich sah, wie er vor Angst die Augen aufriss, zugleich hatte ich das Gefühl, dass sich seine Augen in meinen spiegelten. Ich hob meinen Arm und ließ ihn, wie im Traum, auf seinen Kopf niedersausen. Blitzartig durchzuckte mich die Erinnerung an eine Geschichte, die ich einmal gehört hatte: Das Opfer eines Mordes behält angeblich das Bild seines Mörders wie einen Abdruck auf der Netzhaut. Der Leiche in die Augen zu schauen hieß ein Foto ihres Mörders anzusehen. Während mir das durch den Kopf ging, wurde mir klar, dass ich nicht genug Schwung genommen hatte, und schlug erst im letzten Moment richtig zu. Inzwischen war der Arm des Soldaten hoch genug, um den Stein abzuwehren, der ihn aber immer noch ziemlich hart an der Schläfe traf. Meinen Arm durchzuckte bei dem Aufprall ein wilder Schmerz, aber zum Glück ließ ich den Stein nicht fallen. Der Mann holte aus und schlug nach mir, und obwohl ich mich duckte, traf er mich mit der flachen Hand stark genug im Gesicht, um mich einen Augenblick lang zu betäuben. Ich nahm sein dunkles, verschwitztes Gesicht und seine halb geschlossenen Augen wahr – ich fragte mich sogar noch nach dem Grund, vermutete aber, dass er stärker getroffen war, als ich angenommen hatte. Mit der Hand, die den Stein hielt, versuchte ich sein Gesicht zu treffen, doch er schlug sie zur Seite. Dann hörte ich ein Rascheln hinter mir. Während der wenigen Sekunden, die wir miteinander gekämpft hatten, hatte ich Homer völlig vergessen. Der Mann wirbelte herum und versuchte seitlich auszuweichen. Homer holte mit dem Ast weit aus und schlug mit aller Kraft zu, traf ihn aber nicht am Kopf, sondern an der Schulter. Der Mann versuchte schwankend auf die Knie zu kommen, verlor jedoch das Gleichgewicht. Und in diesem Moment riss ich den Stein mit beiden Händen nach oben und ließ ihn hart auf seinen Schädel niederkrachen. Das Geräusch war entsetzlich, ein dumpfes Pochen wie der Hieb mit der stumpfen Seite einer Axt auf einen Baum. Seine Augen verdrehten sich nach hinten, dann fiel er mit einem sonderbaren leisen Schnarchlaut kopfüber nach vorne, als wollte er ein Gebet sprechen, sackte schließlich zur Seite und rührte sich nicht mehr.
Einen Moment lang starrte ich den Stein entsetzt an, dann schleuderte ich ihn weg, als wäre er verseucht. Ich rannte zu Fi und packte sie bei den Schultern. Ich habe keine Ahnung, was ich von ihr wollte, aber sie starrte mich bloß entgeistert an, als wüsste sie nicht mehr, wer ich war. Dann dachte ich, der Mann könnte jeden Moment wieder zu sich kommen. Ich schüttelte heftig den Kopf, um zur Vernunft zu kommen, und kehrte zu ihm zurück. Homer hatte ihm den Rücken zugewandt und lehnte mit dem Kopf an einem Baumstamm, in sein eigenes privates Treffen mit dem Teufel versunken. Ich beugte mich über den Soldaten, ohne zu wissen, ob ich mir wünschen sollte, dass er tot war oder noch am Leben. Er lebte, sein Atem ging langsam, unterbrochen von tiefen zitternden Seufzern. Zwischen jedem Atemzug herrschten lange Pausen. Es klang grauenhaft. Kurz dachte ich, es wäre besser für uns, er wäre tot, erschrak aber sofort über meine eigenen Gedanken. Ich zog ihm das Gewehr von der Schulter und schleuderte es mehrere Meter weit weg.
Fast im selben Moment
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