Ein endloser Albtraum (German Edition)
ins Lager zurückgekehrt. Sie könnten alle drei dort sein. Und vielleicht werden sie jetzt in diesem Moment angegriffen, während wir hier sitzen und reden.«
Wir hatten uns in Bewegung gesetzt, bevor ich den letzten Satz zu Ende gesprochen hatte. Und wieder rannten und stolperten wir in Panik durch den Busch, zerkratzten uns die Haut und holten uns blaue Flecken. An einer Stelle konnten wir mehrere Minuten lang laufen, ohne uns im Dornengebüsch zu verheddern oder über Kaninchenbaue und Baumstämme zu stolpern, doch dann glitt ich auf einem mit Moos bewachsenen Stein aus, stürzte schwer und schlug mir das Knie auf. Homer hätte ich beinahe mitgerissen.
»Bist du in Ordnung?«, fragte er.
»Wieso wusste ich, dass du mich das fragen würdest?«
»Bist du's?«
»Weiß ich nicht.« Dann, indem ich mich um diese geistige Härte bemühte, von der Homer gelegentlich gesprochen hatte, sagte ich: »Ja, es geht schon. Ich brauche bloß eine Sekunde.«
Ich brauchte drei, dann sagte ich: »Okay, hilf mir hoch.«
Ich stand auf den Beinen, wenn auch sehr wackelig. Am Knie lag es nicht, eher noch am Schock, den ich durch den Sturz abbekommen hatte.
»Schön langsam«, meinte Homer.
»Dafür ist keine Zeit. Los, gehen wir.«
Wir rannten und stolperten zwanzig Schritte weiter, als wir wie angewurzelt stehen blieben. Diesmal war es der Lärm des Artilleriefeuers, der uns anhalten ließ. Es war noch ziemlich weit weg, aber das Hämmern der Maschinengewehre war deutlich zu hören und noch weiter weg erklangen die vereinzelten dumpfen Schüsse der Schrotflinten. Wir starrten uns mit wildem Blick an. Ich dachte in diesem Moment, was, wenn er und ich und Chris den Rest unseres Lebens gemeinsam in der Hölle verbringen müssten? Was, wenn keiner von uns zurückkehrt und Chris ganz allein blieb? Ich spürte das Grauen dieser Gedanken bis in meine Haarwurzeln. Wir brachten keinen Ton über die Lippen. Homers Mund zitterte, während er krampfhaft nach einer Idee, einem Ausweg suchte. Ich öffnete meinen Mund, hatte aber keine Ahnung, was ich sagen würde.
»Gehen wir zum Baum?«
»Baum? Welchen Baum?«
»Der Baum, auf dem wir heruntergekommen sind. Unsere Leiter aus der Hölle.«
»Meinst du, du findest ihn?«
»Ja, wenn wir die Klippen finden und am Rand entlanggehen, finde ich ihn. Dort werden sie hingehen, ganz bestimmt.«
»Okay.«
Wir wussten, dass wir im Lager nichts mehr tun konnten. Die Soldaten waren bereits dort und wir hatten keine Waffen. Bloße Hände halten keine Kugeln auf.
Wir eilten weiter. Ich lief immer noch voran und kam ganz gut vorwärts. Ich dachte, solange ich dafür sorgte, dass mein Knie durchblutet und heiß blieb, würde es nicht zu schlimm sein; ab und zu sandte es einen scharfen stechenden Schmerz aus, doch davon abgesehen war es erträglich. Wir rannten die ganze Zeit bergauf und gewannen dadurch ständig an Höhe; wir wollten das Lager möglichst hoch oben passieren und von dort die Richtung zu den Klippen einschlagen. Zwischendurch war immer noch Artilleriefeuer zu hören, zu dem sich nun, da wir dem Lager viel näher gekommen waren, Schreie und heisere Rufe gesellten. Ich hatte keine Schwierigkeiten, mein Knie heiß zu halten; mein ganzer Körper schien in Flammen zu stehen und der Schweiß brach mir aus allen Poren. Wir befanden uns nun wieder im dichten Eukalyptuswald, in dem es bald unmöglich wurde, zu laufen, dennoch pflügte ich mich weiter durch das Dickicht. Die Kombination aus Dunkelheit, Erschöpfung, Panik und dichtestem Busch machte jeden Meter zur Qual. Ich rannte ständig irgendwo dagegen, weinte vor Schmerz und Verzweiflung, stieß mir immer wieder das Knie an. An einem Punkt, als ich wieder gegen einen umgestürzten Baum gestoßen war und nicht mehr die Energie aufbrachte, darüberzuklettern, blieb ich einfach stehen und schluchzte leise und blubbernd wie ein dreijähriges Kind.
»Komm schon«, sagte Homer, der hinter mir war und mich nicht gerade mitfühlend in den Rücken stieß. Ich glaube, um mitfühlend zu sein, war er einfach zu erschöpft.
Ich riss mich zusammen, kletterte über den Baumstamm, der nicht einmal so hoch war, und stolperte weiter.
Es dauerte noch eine halbe Stunde, bis wir die Klippen erreicht hatten. Ich war an dem Punkt angekommen, wo ich überzeugt war, wir mussten längst an ihnen vorbeigelaufen sein, obwohl das geografisch gar nicht möglich gewesen wäre. Mir war nur nicht bewusst, wie langsam wir vorankamen. Ich begrüßte die Klippen wie
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