Ein endloser Albtraum (German Edition)
mit etwas anderem beschäftigen. Außerdem sah es dadrinnen kühl aus. Ich zog Schuhe und Socken aus, stopfte die Socken in die Schuhe und hängte mir die Schuhe um den Hals. Dann bückte ich mich und versuchte so zu tun, als wäre ich ein Wombat, ein Wasser-Wombat. Ich habe die richtige Figur dafür und es war die einzige Möglichkeit, unter all den Pflanzenwuchs zu gelangen. Ich benützte den Bach als Weg, hatte aber deutlich den Eindruck, durch einen Tunnel zu gehen. Das Grün wölbte sich so niedrig, dass es mir den Rücken zerkratzte, sogar, als ich schon fast das Wasser küsste. Es war kühl – ich nahm an, dass die Sonne seit Jahren nicht hereingedrungen war – und ich hoffte, dass ich nicht zu viele Schlangen treffen würde.
Der Bach war hier schmäler als auf unserer Lichtung, etwa eineinhalb Meter breit und sechzig Zentimeter tief. Der Boden bestand nur aus Steinen, aber sie waren glatt und alt, nur wenige hatten scharfe Kanten, und außerdem waren meine Fußballen in der letzten Zeit hart geworden. Es gab ein paar dunkle, ruhige Weiher, die sehr tief aussahen, so dass ich sie mied. Der Bach plauderte weiter, kümmerte sich um seine Angelegenheiten und ließ sich durch meine kriechenden Fortschritte nicht stören. Er floss schon sehr lange in diesem Bett.
Ich folgte ihm über etwa hundert Meter durch viele Biegungen und Kehren. Der Anfang der Reise war, wie bei den meisten Reisen, angenehm gewesen und ich hoffte, dass das Ende ebenfalls angenehm sein würde, aber der mittlere Teil war mühsam. Mein Rücken schmerzte und meine Arme waren gründlich zerkratzt. Mir wurde wieder heiß. Doch der Baldachin aus Unterholz wurde höher und es wurde auch heller – hie und da prallte glitzerndes Sonnenlicht vom Wasser ab und die geheimnisvolle Kühle des Tunnels wich der üblichen trockenen Hitze, wie wir sie auf der Lichtung hatten. Ich richtete mich ein wenig auf. Ein Stück weiter vorn schien der Bach breiter zu werden, ehe er sich nach rechts wandte und wieder im Unterholz verschwand. Er konnte sich hier ausbreiten, weil die Ufer nicht mehr senkrecht waren. Sie stiegen schräg an und ich sah schwarze Erde, rote Felsen und Moosflecken in einem kleinen, schattigen Raum, der nicht viel größer war als unser Wohnzimmer zu Hause. Ich watete gebückt weiter. Am Ufer wuchsen kleine, blaue Blumen. Als ich näher kam, sah ich tiefer im Busch in einiger Entfernung vom Bach einen Fleck voller rosa Blumen. Ich sah noch einmal hin und erkannte, dass es Rosen waren. Mein Herz schlug plötzlich wild. Rosen! Hier, mitten in der Hölle! Unmöglich!
Ich platschte die letzten Meter zu der Stelle, an der die Ufer zurückzuweichen begannen, und stieg aus dem Bach auf den moosbedeckten Felsen. Ich spähte in die wilde Vegetation und bemühte mich zwischen Schatten und festen Dingen zu unterscheiden. Das einzig Sichere war der Rosenstrauch, dessen Blüten genügend Sonnenlicht auffingen, um wie sanfte Edelsteine zu leuchten. Aber allmählich erkannte ich, was ich sah. Quer vor mir war ein langer Streifen verfaulenden schwarzen Holzes, ein Pfahl diente als Stütze, der dunkle Raum war ein Eingang. Ich betrachtete das überwachsene Gerüst einer Hütte.
Ich ging langsam auf Zehenspitzen weiter. Es war ein stiller Ort und ich empfand eine Art Ehrfurcht – wie im Salon meiner Großmutter mit den schweren alten Möbeln und den immer zugezogenen Vorhängen. Die beiden Orte hätten nicht verschiedener sein können – die verfallene Hütte und das feierliche alte Sandsteinhaus, aber beide hatten nicht mehr viel mit den Lebenden, dem Leben zu tun. Meiner Großmutter hätte es nicht gefallen, mit einem Mörder verglichen zu werden, aber sie und der Mann, der hier gelebt hatte, hatten sich beide von der Welt zurückgezogen, hatten sich Inseln geschaffen. Es war, als wären sie, noch während sie sich auf Erden befanden, ins Jenseits eingegangen.
Am Eingang zur Hütte musste ich eine Menge Schlingpflanzen und hohes Schilfrohr wegreißen. Ich wusste nicht genau, ob ich hineingehen wollte. Es war ein bisschen, als betrete man ein Grab. Und wenn der Einsiedler noch immer hier war? Wenn seine Leiche auf dem Boden lag? Oder sein Geist darauf wartete, sich an dem ersten Menschen zu nähren, der zur Tür hereinkam? Die Hütte und ihre ganze Umgebung hatten etwas Dumpfes, Brütendes an sich, das weder friedlich noch angenehm war. Nur die Rosen brachten ein wenig Wärme in die Lichtung. Aber meine Neugier war groß; es war undenkbar, dass ich so
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