Ein Engel an Güte (German Edition)
Celio einen ihrer zärtlichsten Blicke schenkte, dieser sie zum Abschied dagegen nur kalt und zerstreut grüßte, da hatte sie keinen Zweifel mehr und erklärte sich die Veränderung im Benehmen des jungen Mannes durch das Schwinden seiner Liebe.
Bis dahin hatte sie sich über das Gefühl, das sie an Celio band, nie Gedanken gemacht. Froh, ständig an ihn denken zu können, befragte sie ihren Verstand nicht nach dem Grund für dieses Vergnügen. Zukunftsträume konnten es nicht sein; die Liebesverhältnisse, die sie vor Augen hatte, vermochten kaum ihr Verlangen zu wecken, die Ehe war gewöhnlich eine so schäbige Angelegenheit und hatte mit Liebe so wenig zu tun, dass ihre Phantasie keine Handbreit festen Boden fand, worauf sich Luftschlösser hätten bauen lassen. Sie lebte also von Liebe, hoffte auf die Liebe, ohne wirklich zu wissen, wovon sie lebte und worauf sie hoffte; sie war sich allerdings sicher, dass sie nicht von dem lebte und nicht das erhoffte, was die Tage und Vorstellungen der anderen mit Lust erfüllte.
Der oben erwähnten Verwandlung Celios verdankte Morosina also ihren ersten Gedanken an Liebe, ihren ersten Liebeskummer. Und sie wurde nachdenklich und litt doppelt und dreifach, als Celio beim nächsten Empfangstag gar nicht erschien, beim dritten und vierten wohl kam, aber so zerstreut war und sich so sehr scheute, ihr nahezukommen, und so ängstlich auf Augen und Ohren der anderen achtete, dass es zum Erbarmen war. Morosina hielt die Tränen zurück, ihre Vorwürfe aber nicht, die sie offen aussprach, wie es ihr gutes Recht war; doch es nützte ihr nichts, zu ihrem großen Kummer musste sie mit ansehen, dass Celio beim letzten Mal noch finsterer und zurückhaltender war als zuvor. Das war der Hauptgrund für ihre Schwermut in diesen letzten Wochen im Kloster. Dennoch hoffte sie, wenn sie erst in Asolo wäre, würde Celio ihr durch die Anziehungskraft der Liebe folgen, und dort oben in der ländlichen Abgeschiedenheit würden sie die Harmonie und Vertraulichkeit ihrer Kinderjahre im Jugendalter noch einmal und noch schöner wiederaufleben lassen.
III
Seine Exzellenz der Inquisitor
Endlich kam auch dieser lange Monat an ein Ende, und es brach der Tag an, da dem sechs Jahre in Gefangenschaft gehaltenen Vögelchen Stimme und Flügel gelöst werden sollten. An diesem Morgen erhob sich Morosina, ganz erfüllt von lebendigstem Glauben, und dieses göttliche Gefühl ließ ihr Antlitz in all seinen Zügen im vollen Glanz einer neuen Schönheit erstrahlen. Rasch war sie in ein Kleidchen aus einfachem Tuch geschlüpft und hatte ihre paar Habseligkeiten in eine Kiste gepackt, ehe sie zur Morgenandacht in die Kirche hinunterstieg. Doch ihre ins Weite schweifenden Gedanken zu einem Gebet auf ihren Lippen zu bändigen, vermochte sie an diesem Tag nicht, zu sehr verwirrte sie das Übermaß ihrer Dankbarkeit. So mächtig war die Freude über ein ihren eigenen Vorstellungen gemäßes Leben, das ihr nun endlich wiedergeschenkt werden sollte, dass sich sogar die Zweifel, die sie hinsichtlich der Gefühle Celios hegte, in unerschütterliche Gewissheit verwandelten. Beim Frühmahl brachte sie es nicht über sich, etwas anzurühren, und die Zeit schien ihr endlos, bis sie wieder in ihr Zimmer hinaufgehen konnte, um dort ungestört zu warten.
Ein jeder schimpft auf diesen äußerst lebhaften Seelenzustand der Erwartung; jeder, sogar diejenigen, die seine strenge, aber fruchtbare Zucht aus Erfahrung kennen. Der Geist, der nur selten voll und ganz auf eine Handlung konzentriert ist, sich vielmehr meist in unendlich vielen Gedanken, Sorgen, Gefühlen verzettelt, findet nur dann zu einer festen Einheit, wenn Hoffnung oder heftige Furcht vor etwas ihn dazu zwingen. So große, auf eine einzige Regung konzentrierte Kraft erlangt etwas Übermenschliches, das unsere schwache Hülle nur mit Mühe zu bändigen vermag, und daher kommt diese Rastlosigkeit, dieses Herzrasen, diese Beklemmung in der Brust, diese zu Kopf steigende Hitze, weshalb die Erwartung in schwachen Gemütern leicht den Anschein einer Qual annimmt. Doch im Gegensatz zwischen überschwänglichem Geist und niedergedrückter, festgehaltener Materie, welche Leichtigkeit erringt da nicht die Seele, wenn sie ihrem Wunsche folgend alle Räume durchmisst! Welche Kühnheit der Vorstellungskraft, wenn sie die blühenden Auen der Hoffnung in den anmutigsten Farben ausmalt! Welche Erlesenheit des Gefühls, wenn es den süßen Reiz heimlicher Seufzer und die liebevollen
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