Ein Engel an Güte (German Edition)
Laienschwestern, die ein Tablett mit zwei Tassen und einem Teller mit Gebäck darauf in Händen hielt.
« Setzt Euch also, meine Tochter!», sagte die Superiorin.«Nehmen wir gemeinsam diese kleine Stärkung zu uns, um uns zu wappnen gegen den grausamen Trennungsschmerz, den wir heute werden erdulden müssen... Trennung für immer! »fügte sie nach einer kleinen Pause in einer Art Aufschrei hinzu.
« Für immer? Oh, sagen Sie das nicht, heiligste Mutter!», rief Morosina in einer Aufwallung echter Zärtlichkeit.«Ich schwöre Ihnen, in den Nöten dieser Welt wird es mir immer der süßeste Trost sein, an diesem heiligen Ort, in Ihren mütterlichen Armen meine Zuflucht zu finden... und wenn nicht anders, so doch wenigstens in Gedanken! »
« Gut, gut, meine Tochter!», antwortete die Hochwürdige.«Trinken wir nun also die Schokolade. »
Und während Morosina ihre Tränen trocknete und den einen oder anderen Schluchzer unterdrückte, goss die Äbtissin eine dicke, stark nach Vanille duftende Flüssigkeit in die beiden Tassen. Das Mädchen zögerte noch näher zu treten, zu groß erschien ihr die Ehre, mit der Äbtissin gemeinsam eine Mahlzeit einnehmen zu dürfen. Die aber tadelte dieses Widerstreben mit übertriebener Herzlichkeit und hieß Morosina sich neben sie setzen. Nachdem sie den Schwestern ein paar Worte ins Ohr geflüstert hatte und diese gegangen waren, begann sie mit fabelhafter Geschwindigkeit, das Gebäck einzutunken, in den Mund zu stecken und hinunterzuschlingen. Sie wollte dem Mädchen noch ein Schlückchen von dem köstlichen Getränk aufnötigen, das lehnte jedoch freundlich ab, da leerte sie unter Seufzen die Kanne, und weil die Flüssigkeit nur noch lauwarm war, trank sie alles in einem Zug aus.
« Und nun wollen wir gehen», sagte sie,«und diese andere Sache in Ordnung bringen.»
Sie gingen in ihr Schlafzimmer, die Äbtissin half Morosina beim Ablegen ihres zerschlissenen Kleides und streifte ihr ein prächtig verbrämtes, mit großartigen Spitzen besetztes Seidenkleid über. Das Mädchen war völlig verwirrt, doch es ließ sie gewähren, widerstrebend im Inneren, nach außen hin dem Willen der Superiorin ergeben.
« Nun betrachtet Euch doch einmal im Spiegel, liebes Kind!», sagte die Äbtissin, als alles fertig war und sie hier und da noch etwas zurechtgezupft hatte.«Seht Euch an und traut Euren Augen, dass Ihr die Schönste seid, so wie ich Euch schwören kann, dass Ihr die Beste und Bravste im ganzen Kloster seid.»
Morosina, in Verlegenheit ebenso wegen des Kleides, in dem sie steckte, wie wegen dieses Lobs, das ihr in den Ohren gellte, ließ sich am Arm vor einen wundervollen alten venezianischen Spiegel zerren und hob den Blick, in dem mehr Scham als Neugier lag. Sie war wirklich eine Schönheit, wie die Ehrwürdige gesagt hatte, aber diese Schönheit hatte nichts mit dem Kleid zu tun, außer vielleicht durch die leichte, reizende Verwirrung, die seinetwegen auf ihren Zügen lag.
« Lasst uns nun also hinuntergehen und von den anderen Klosterfrauen und Schwestern Abschied nehmen», sagte die Äbtissin, nahm Morosina bei der Hand und verließ den Raum. Doch in der Mitte des Korridors machte das Mädchen, durch ein Übermaß an Rührung am Sprechen gehindert, Anstalten umzukehren und löste zugleich sachte ihre Hand aus der der Äbtissin.
« Was wollt Ihr, mein Kind?», fragte diese mit schmeichelnder Stimme.
Morosina bedeutete ihr, dass sie bitte, einen kleinen Augenblick zu warten, wandte sich um und war mit zwei Sätzen in dem Zimmer, wo sie ihr schlichtes Kleid abgelegt hatte. Sie suchte darin und zog das Bändchen Petrarca hervor, an dem ihr offenbar viel lag. Sie nahm es an sich und kehrte zur Äbtissin zurück, deren schwankende Gestalt sie die Treppe hinunter stützte. Gemeinsam betraten sie so das Refektorium, wo die Pensionärinnen mürrisch herumstanden, denn trotz der morgendlichen Predigt der Äbtissin und der Ermahnungen zweier von ihr beauftragter Laienschwestern kam es sie hart an, sich der Valiner gegenüber freundlich zu zeigen.
Und nun begann das Abschiedszeremoniell; Morosina war mit ganzer Seele dabei, aufrichtige, dicke Tränen liefen ihr aus den Augen, die von Herzen kamen. Doch statt diese trägen Geschöpfe milder zu stimmen, riefen ihre Tränen ihnen nur umso lebhafter ins Gedächtnis, dass Morosina ja als Heuchlerin und Spionin galt, und diese Erinnerung, vereint mit dem Ehrgeiz jeder Einzelnen, den anderen in nichts nachstehen zu wollen, führte
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