Ein Engel an Güte (German Edition)
Umkleiden in die Garderobe Seiner Exzellenz begaben, ging dieser in sein Arbeitszimmer, überflog kurz die Papiere, die Bernardo wie üblich aus dem Senat mitgebracht hatte, und nachdem er den Rock ausgezogen hatte, machte er es sich auf dem Platz am Fenster zu seinem üblichen Nachmittagsschläfchen bequem. Doch der Freund wollte sich nicht einstellen, also war er genötigt, sich so gut wie möglich mit sich selbst zu unterhalten; anderthalb Stunden lang gingen da in seinem kahlen, wie altes Pergament glänzenden Schädel gewiss die unterschiedlichsten Gedanken herum, denn Lippen, Augen und Augenbrauen standen nicht einen Moment lang still. Und so war die Miene des betagten Patriziers, sobald er sich allein in seinem Zimmer wähnte, merkwürdig bewegt und ließ in ihrer ständigen Unruhe einigen inneren Aufruhr erkennen, vielleicht als Ausgleich für die vollkommene Ruhe, die er ihr vor anderen auferlegte.
Um acht Uhr trat Bernardo ein.
« Ah, da bist du ja!», rief der Inquisitor.«Dich hätte ich dringend gebraucht, ich konnte nicht einschlafen, und da überkam mich die Melancholie. Hast du Momolino gesehen? Hat er dir hübsche Neuigkeiten berichtet? Ist Nicolettos Heirat beschlossene Sache oder findet erst die Hochzeit der kleinen Costanza statt?»
« Es wird alles in einem Aufwasch gemacht», antwortete Bernardo.«Gestern ist der Vertrag zwischen Marcoligo, der Jungfer Canean und dem Grafen geschlossen worden. Der teure Momolino war als Zeuge dabei.»
« Der hat doch überall seine Hand im Spiel, dieser Teufelskerl...! Und sag mir, ist Nicoletto nun endlich von der Schönheit seiner Braut überzeugt...? Sapperlot, wie glücklich er sein muss! Sie ist dümmer als er, buckliger als er, zehn Jahre älter als er, kurz, sie übertrifft ihn in allem! Freilich hapert es am Geld, aber das Geschlecht der Canean ist doch eines der ältesten, und wenn es bisher auch noch keinen Dogen vorzuweisen hat, wird es den nun in der weiblichen Linie hervorbringen, denn die beiden Brautleute scheinen mir eigens dafür gemacht, der Republik dieses Horn 85 zu bescheren.»
Bernardo rieb sich mehrmals die Hände.
« Warum lachst du denn so?», fragte ihn Formiani.
« Nun, herrje, ist das denn nicht zum Lachen?», erwiderte er.«Den armen Jungen einer solchen Harpyie 86 zu opfern, nur um in den Großen Rat zu kommen!»
« Still, willst du wohl still sein!», rief der Inquisitor.« Um ins Goldene Buch eingetragen zu werden und sich dessen würdig zu erweisen, haben unsere Ahnen ihr Leben geopfert; da können die Nachfahren doch guten Gewissens eine Flause ihrer Kinder opfern...! A propos, ist Momolino denn noch hier?»
« Er ist heute mit den Damen abgereist, um in Asolo mit dem Grafen zusammenzutreffen», antwortete der Cappanera.
« Bestens! Wir werden ihn für diesen Streich am 15. August noch brauchen!», sagte Formiani.« Aber einstweilen wird er von sich hören lassen, hoffe ich!»
« Ganz gewiss! Er korrespondiert mit Seiner Exzellenz Pitocca, der eitle Tropf, und auf diesem Weg erfahren wir alles über ihn.»
« Über ihn und andere», setzte Formiani hinzu.
« Und andere», wiederholte Bernardo.
« Jetzt geh und ruf mir Martino. Ich bin wieder zum Jüngling geworden, und ich sollte mich auf die Regel der fünf Mäntel 87 besinnen, ich hatte sie schon fast vergessen.»
Für diejenigen, die mit der damaligen venezianischen Mode nicht vertraut sind, sei gesagt, dass jeder vollendete Edelmann damals fünf Mäntel benötigte, für Winter und Sommer je verschieden, und zwar waren das der rote Mantel für die Promenade, der weiße für Besuche, der blaue für Alltagsgeschäfte, der bestickte für Galafeierlichkeiten und der schwarze für die Nacht. Und stets trug man den Mantel oder Tabarro entweder über die Schulter zurückgeschlagen, um die Spitzen an der Hemdbrust, die Mosaikknöpfe an der Weste und den reich verzierten Griff des Degens zu zeigen, oder über den Arm gelegt, um die Figur und den ganzen Prunk der Aufmachung offen sehen zu lassen.
Wenig später ging der Inquisitor, aufgeputzt wie ein Stutzer, aus den Händen Martinos hervor und stieg sehr leise zu Morosinas Gemächern hinauf, wohin sich, wie ihm gesagt wurde, die Fremden zurückgezogen hatten, um letzte Hand an ihre Toiletten zu legen. Chirichillo war bereits von Kopf bis Fuß fertig, er trug einen schwarzen Rock mit riesigen Goldknöpfen, und auch alles Übrige war schwarz. Ja, wegen seiner Liebe zu dieser Farbe hatte er, weil keine anderen da waren,
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