Ein Engel an Güte (German Edition)
darin Platz zu nehmen, samt ihrem kleinen Bündel, das dem Umfang nach zu schließen nicht mehr als zwei Hemden enthalten konnte. Als der Kutscher schon die Peitsche hob, streckte Signora Cecilia, die zum Abschied heruntergekommen war, den Kopf beim Kutschenfenster herein:«Gebt dem undankbaren Nicoletto einen Kuss von mir», sagte sie,«und sagt Morosina, sie möge Gott und mir danken für das enorme Glück, das ich ihr verschafft habe. Alles in allem betrachtet ist es doch besser, es trifft sie als irgendeine andere!»
« Was für ein Glück?», fragten der Podestà und der Schreiber wie aus einem Mund.
« Enorm groß, ich wiederhole es, mein Wort darauf», entgegnete die Signora.«Doch will ich euch und ihr die Überraschung nicht verderben. Lebt wohl, gute Reise und kommt bald zurück, denn ich bin so daran gewöhnt, euch hier um mich zu haben, dass mir allein recht langweilig sein wird.»
« Danke vielmals, Signora Cecilia!»
« Leb wohl, meine liebe Cecilietta! Und sei unbesorgt, wir kommen bald zurück, mit Morosina, so Gott will.»
« Morosina wird nicht so dumm sein, als Bettlerin nach Asolo zurückzukehren, wenn sie in Venedig so etwas wie eine Prinzessin sein kann!», murmelte die Edelfrau bei sich, als die Kutsche abgefahren war, und kehrte in das Amtsgebäude zurück, um wer weiß welchen Urteilsspruch zu verfassen.
Nachdem sie in einer Villa Formianis bei Noale die Pferde gewechselt hatten, kamen die beiden Beamten gegen ein Uhr in Mestre an. Um halb vier stiegen sie, vor Staunen noch ganz benommen, in Venedig am Palazzo Formiani aus und wurden in den Speisesaal geführt, wo Morosina, die sich im selben Augenblick zu Tisch gesetzt hatte, bei ihrem unverhofften Anblick fast in Ohnmacht fiel. Cavalier Celio, der ihr allein Gesellschaft leistete (jedenfalls war weiter für niemanden gedeckt), war jedoch zur Stelle und stützte sie, bis er mit einem Riechfläschchen, der Podestà mit Küssen auf den Mund und Chirichillo mit Küssen auf die Hände sie wieder zu sich gebracht hatten.« Ach», rief das Mädchen, als sie wieder ganz bei Sinnen war.
« Das hast du nicht erwartet, liebe Morosina, nicht wahr?», sagte der Podestà.
« Nein, so bald gewiss nicht», stammelte sie, noch ganz bleich von der plötzlichen großen Gemütsbewegung.
Chirichillo kniete, eine Hand des Mädchens in seinen Händen haltend, und war nicht imstande, ein Wort hervorzubringen; endlich wanderten ihre Gedanken auch zu ihm, und kaum hatte sie ihn bemerkt, stieß sie noch einmal einen Freudenschrei aus.«Ach, du bist ja auch da, mein Alter!», rief sie und schlang ihm die Arme um den Hals, heiße Tränen vergießend.
Chirichillo vergoss ebenfalls Tränen in Strömen, der Podestà, rührselig (unter uns gesagt) wie alle Säufer, schloss sich ihnen mit einigen Schluchzern an, und Celio, unschlüssig, wie er sich bei diesem Auftritt verhalten solle, befahl dem Diener, zwei weitere Gedecke aufzulegen.«Wie du siehst, Martino», setzte er lächelnd hinzu,«übernehme ich das Kommando, da die Herrschaften im Augenblick sehr in Anspruch genommen sind!»
Endlich fand dieser Zärtlichkeitsausbruch ein Ende, und man setzte sich wieder zu Tisch, Morosina in der Mitte, der Cavaliere ihr gegenüber und die beiden Reisenden rechts und links von ihr.«Exzellenz Alvise», begann Celio,«Sie sind ja förmlich aufgeblüht in den letzten vier Wochen, und auch der Doktor Chirichillo hier, wahrhaftig! Wer würde sagen, dass sechs Jahre vergangen sind, ja, volle sechs Jahre, will mir scheinen, seit wir uns zum letzten Mal in Castelfranco gesehen haben? Apropos», fuhr er fort,«ich muss Ihnen wohl den eigenartigen Umstand erklären, dass Sie mich hier so ganz allein mit der verehrten Signorina bei Tisch antreffen. Aber Seine Exzellenz nimmt am heutigen Tag des heiligen Antonius am feierlichen Hochamt in der Santa Maria della Salute teil und anschließend an dem obligatorischen Staatsbankett, das Seine Durchlaucht der Doge für die Gesandtschaften gibt, und da hat er mich dieser Ehre gewürdigt. Um die Wahrheit zu sagen, hatte er auch die gräfliche Familie Carmini eingeladen ...»
« Die Carmini?», rief der Podestà und zuckte zusammen.«Gott sei Dank ist der Graf gestern Abend in Asolo eingetroffen, wo er hoffentlich bleibt, bis ich wiederkomme. Und dann, wozu bedarf es dieser Leute, um meinem Töchterchen hier Gesellschaft zu leisten?»
Das junge Mädchen ergriff seine Hand, legte sie sich aufs Herz und hielt sie unter zärtlichem Streicheln
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