Ein Engel an Güte (German Edition)
für diesen Abend sei er vom Vorlesen dispensiert.«Lieber Alvise, ich hätte ein Wörtchen mit Euch zu reden», begann der Inquisitor.
« Wie Euer Exzellenz befehlen», antwortete Valiner, der beim Abendessen die an der Mittagstafel gewonnene Vorliebe für den Wein aus Conegliano wohl etwas zu eifrig bekräftigt hatte.
« Eure Tochter ist noch niemandem versprochen?», fragte Seine Exzellenz.
« Sie ist vollkommen frei! Sie kommt eben aus dem Kloster!»
« Nun denn, wollt Ihr sie mir zur Frau geben?»
« Wem?», fragte der Podestà mit glasigem Blick.
« Mir, sage ich Euch!»
« Ach so, ich verstehe!», murmelte der andere.
« Wenn Ihr verstanden habt, umso besser...! Gute Nacht, und denkt darüber nach», bemerkte Formiani.«Aber bis zur Hochzeit Stillschweigen wie ein Kartäusermönch.»Nachdem er ihn zur Tür hinausgeleitet und diese hinter ihm geschlossen hatte, wiederholte er noch einmal:«Gute Nacht!»
Der Podestà blieb fünf Minuten stehen und betrachtete stumm und wie blöde bald die Kerze, die er in der Hand hielt, bald diese Tür, die sich hinter ihm geschlossen hatte. Endlich wankte er seinem Zimmer zu, voller Verzweiflung darüber, dass er dem Befehl Seiner Exzellenz nicht entsprechen und schwerlich über etwas nachdenken konnte, was er gar nicht verstanden hatte.
« Schauen wir einmal», sagte er, sich widerwillig entkleidend.«Hat er gesagt ‹Wollt Ihr mir die Frau geben› ...? Aber nein, ich Rindvieh...! Er hat tatsächlich gesagt: ‹Wollt Ihr sie mir zur Frau geben? › Ja, aber wen denn, zum Teufel, wen soll ich ihm denn zur Frau geben? Die Edeldame Cecilia? Pah... Das wäre mir aber wirklich sehr unangenehm, denn dann müsste ich ja selbst wieder als Podestà wirken...! Aber jetzt, wenn ich es recht bedenke ... dort in Muggia haben wir geheiratet, bei Gott...! Ja, bei Gott, zehn Priester waren bei der Trauung... Und dieser köstliche Wein aus Pirano beim Mahl...! Also... An was dachte ich eben noch...? Also ... also ... Ach ja, wenn Signora Cecilia denn mit mir verheiratet ist, so kann sie sich doch mit niemand anderem vermählen...! Das ist doch klar wie Öl aus Lucca 88 ...! Und was hat Seine Exzellenz mich noch gefragt...? Sapperlot, jetzt hab ich’s...! Er hat von der Kleinen gesprochen...! Und was habe ich ihm zur Antwort gegeben...? Nichts, will mir scheinen...! Und er? ‹Wollt Ihr sie mir zur Frau geben?› Aber für wen will er sie denn haben ...? Will er sie vielleicht verschenken, an... an... Also wahrhaftig, ich wüsste nicht, an wen.»
Über derlei vollendeten Gedankengängen hatte der Podestà sich entkleidet, ins Bett gelegt und blies nun das Licht aus, um ungestört von dessen Schein diesen Dialog noch einmal ordnen zu können. Aber statt nachzudenken, wie Seine Exzellenz ihm geraten hatte, schlief er alsbald ein und erwachte frisch und munter am nächsten Morgen um neun Uhr. Als er sich mit den Händen an den Kopf fuhr, um sich von einer ganz eigenen Hitze zu befreien, die er dort verspürte, bemerkte er, dass er mit Perücke geschlafen hatte.«Teufel aber auch!», brummte er.
Doch dann kamen ihm, reichlich verschwommen, die Bilder des Vortags wieder in den Sinn, und es wollte ihm scheinen und auch wieder nicht, als habe Formiani Morosina zur Frau begehrt.«Ja aber für wen denn?», rief der arme Mann noch völlig verwirrt vom vorherigen Abend.«Ich werde Chirichillo um Rat fragen», beschloss er endlich. Er sprang aus dem Bett und bemerkte, dass er die Hosen noch anhatte.«Offenbar war ich sehr zerstreut gestern», sagte er sich.«Sapperlot, Gott weiß, von was für hochwichtigen Dingen gestern zwischen Seiner Exzellenz und mir die Rede war! Aber Chirichillo ...»
An diesem Punkt seines Selbstgesprächs angelangt, fiel ihm gerade noch rechtzeitig das Stillschweigen eines Kartäusermönchs ein, das ihm zwischen Tür und Angel auferlegt worden war. Als er sich derart jeder Hilfe beraubt sah, sank er kraftlos auf einen Stuhl, als ob man ihn eben aus den Halterungen der Tortur genommen hätte.
VI
Ehe auf Venezianisch
Nach der vorherigen durchwachten Nacht war Morosina müde und schlief noch, als Moretta ganz verstört und wie außer sich ins Zimmer trat, um sie zu wecken. Das Mädchen richtete sich im Bett auf und grüßte die Zofe freundlich, doch als sie sah, wie verwirrt die andere war und dass sie auf ihre vertraulichen Worte gar nicht einging, fragte sie:«Was hast du denn, Morettina? In all diesen Tagen hast du noch nie ein so finstres Gesicht gemacht!
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