Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie
Einfluss nehmen.»
Ich erzählte Isabel nichts von meinem Gespräch mit der Leiterin. Ich war wütend über die Bedenken wegen einer lächerlichen Giraffe, und heute, so viele Jahre später, erscheint mir diese Episode unglaublich und in ironischer Weise erheiternd, aber sie beweist doch das Ausmaß an Konformität, das von uns erwartet wurde. Ich schämte mich auch, weil ich in Tränen ausgebrochen war, obgleich ich später hoffte, dass die Episode meine Rolle als Dichterin aufgewertet hatte – «Krankheit in ihrer Familie – vielleicht Alkoholismus? – auf die Straße gesetzt … die ideale Herkunft für eine Dichterin … was für ein tragisches Leben …».
Wenige Wochen später ließ mich die Leiterin wieder «zu sich rufen», diesmal, um mir zu der Kindergeschichte zu gratulieren, die ich geschrieben hatte, und um mich zu fragen, ob ich daran gedacht hätte, mich auf das Schreiben von Kinderbüchern «zu verlegen». Meine Arbeit sei vielversprechend und fantasievoll, sagte sie, während ich gelassen zuhörte, innerlich voller Herablassung über die Idee, dass ich mein Lebenirgendetwas anderem weihen sollte als der Dichtung, wo mir doch die Vorstellung von mir selbst als einer Dichterin so lieb war. Am Ende der Unterredung sagte die Leiterin: «Unser kleines Gespräch scheint seine Wirkung auf Ihre Schwester nicht verfehlt zu haben; sie ist jetzt viel zurückhaltender und trägt diesen Rock mit der Giraffe nicht mehr.» Ich erklärte ihr nicht, dass die Giraffe sich abgelöst hatte und dass Isabel sie wieder annähen wollte, sobald sie «Zeit» hatte. Ich wusste, dass ihre Zeit ganz von Steve, ihrem Freund, in Anspruch genommen wurde; er war groß, gut aussehend und blond und hatte einen Freund namens Morrie, groß, gut aussehend, dunkel und sehr schüchtern, und bei einem unserer Treffen, wo wir über die «Suche nach einem Haus» reden wollten, schlug Isabel vor, ich solle doch einmal «die ganze Studiererei» sein lassen und mit ihr und Steve tanzen gehen, mit Morrie als Partner. Überstürzt sagte ich zu und verbrachte einen ungewohnten, doch irgendwie aufregenden Abend als Partnerin von Morrie, der abwechselnd tanzte (und sehr wenig redete) und dastand und mit mir den Tanzenden zusah, während er herumhopste und mit den Füßen scharrte und leise sang –
Missed the Saturday dance
got as far as the door,
couldn’t bear it without you,
don’t get around much any more …
– wobei er den Refrain «Komm nicht mehr viel, komm nicht mehr viel, komm nicht mehr viel herum» mehrmals in seinem schleppenden Southland-Tonfall wiederholte. Ich genoss die Andersartigkeit seiner Gegenwart neben mir, aber wir waren beide zu schüchtern, und wenn wir einander ansahen,war sein Gesicht dunkelrot und meines, das weiß ich, gerötet vor Befangenheit.
Die Bemerkungen der Leiterin über mein Schreiben ermutigten mich zu der Idee, am Ende des Jahres am Dichterwettbewerb der Hochschule teilzunehmen, um ihr und anderen zu zeigen, dass ich
wirklich
eine Dichterin war. Bis dahin aber hatte ich noch so viel zu tun und mir über so vieles Gedanken zu machen, dass die einzigen Örtlichkeiten, wo ich Ruhe fand, die Vorlesungsräume an der Universität waren, wo ich ganz in Shakespeare und Altenglisch aufging, und der Lesesaal der Stadtbücherei von Dunedin, wo ich moderne Dichtung, James Frazer, Jung und Freud las. Mit der Arbeit an der «Entwicklung der Großstadt» hatte ich noch nicht einmal angefangen – ein Thema, das mich angesichts seiner Möglichkeiten reizte, mich jedoch auch abstieß aufgrund der Vorstellung, ich würde vielleicht langweilige geographische und historische Details zu Papier bringen müssen. Als Folge meiner Kultivierung einer, wie ich annahm, «dichterischen Geisteshaltung» war ich unduldsam geworden gegen alles, was ich als «langweilige Details» zu bezeichnen beschloss, entweder weil ich ihnen in meiner idealen poetischen Welt wenig Wert beimaß oder weil sie mich daran erinnerten, dass ich nicht so gescheit war, wie ich es gern gewesen wäre, und weil ich die Beschränkungen meines Geistes zu erkennen begann, mich jedoch weigerte, sie zu akzeptieren. Ich konnte nicht einmal die Art von Lyrik schreiben, wie sie im
Critic
abgedruckt wurde. Was bildete ich mir eigentlich ein, mich für eine Dichterin zu halten!
Konfrontiert mit der «Entwicklung der Großstadt», empfand ich mich als jämmerliche Versagerin. Meine einzige Hoffnung bestand darin, die lange Abhandlung auf meineeigene Weise zu
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