Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie
bittet.» Und wie durch ein Wunder erbrachte die nächste Abstimmung ein Darlehen von dreihundert Pfund, gerade genug, um ein baufälliges, von Ratten heimgesuchtes altes Häuschen mit eineinhalb Hektar Grund am Rand von Oamaru zu kaufen, gleich hinter dem Park und dem Campingplatz. Der Umzug und die Suche müssen für mich so beunruhigend gewesen sein, dass ich mich nicht daran erinnern kann. Als die Hochschule in diesem Jahr zu Ende war, fuhr ich mit den Bradleys und Rona Pinder nach Stewart Island, wo wir in einer Hütte am Strand wohnten. Meine Erinnerung daran beschränkt sich auf wenige Momentaufnahmen – wie wir in unseren selbst geschneiderten Badeanzügen am Strand herumstolzieren, wie das Essen über einem Feuer kocht, um das sich zwei junge Männer kümmern, wie ich in unserer Hütte im Bett liege, die Bettdecke bis ans Kinn gezogen, während einer der jungen Männer das Geschirr vom Vorabend spült, an dem unsere «Bierparty» stattgefunden hatte, damals das Symbol dafür, dass man endgültig erwachsen war.
Ich kehrte nach Oamaru zurück und stellte fest, dass wir inzwischen von der Eden Street 56 in das alte Häuschen auf einem Gelände gezogen waren, das Willowglen genannt wurde.
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Willowglen
Willowglen hatte nacheinander verschiedenen heruntergekommenen Familien gehört, von denen man selten als Einzelpersonen sprach, immer nur von den «schrecklichen D.s» oder «diesen X.!», deren Kinder barfuß und zerlumpt in die Schule kamen und manchmal krank waren und als Heranwachsende gegen die gesellschaftlichen Regeln verstießen und zu Ausgestoßenen wurden. Während der Wirtschaftskrise waren sie die wirklich Armen gewesen, die von Rinder- und Schweineknochen und von fleckigem Obst gelebt und ihre Kleider in Zuckersäcken aus dem «Sozialhilfedepôt» geholt hatten. War man gezwungen, ins Depôt zu gehen, so war man am Ende der Welt angelangt; die Leute sagten dann, man sei dumm und nutzlos und würde nie dazulernen und einen schlechten Einfluss auf andere haben. Mich faszinierte die altmodische Schreibung des Wortes
Depôt,
mit diesem winzigen Hütchen, wie eine Narrenkappe, über dem o, das, wie ich später herausfand, ein Zirkumflex war, Zeichen eines verloren gegangenen «s», und ich stellte mir die Schluchten in der Wörterlandschaft vor, in die die verschwundenen Buchstaben gefallen waren.
Seit die M.s die Stadt verlassen hatten, stand das Haus leer. Die eineinhalb Hektar waren Anfang des Jahrhunderts von einem Landschaftsarchitekten mit englischen Bäumen bepflanzt worden – fünf Eichen, verschiedene Kiefernarten, darunter eine riesige Weymouth-Kiefer mit hängenden Ästen,die wir den «Geisterbaum» nannten; Eiben und Zypressen; ein Obstgarten mit Apfel-, Kirsch-, Quitten- und Pflaumenbäumen; ein großer Birnbaum, der sich auf der Rückseite über das Dach neigte; Unmengen von Frühlingsblumen – Narzissen, Kreuzblumen, Krokusse am Ufer des Baches, der durch das Grundstück floss. Den Fahrweg entlang, der im Besitz der Stadt war und uns freien Durchgang gestattete, stand eine Anpflanzung junger Kiefern. An drei Seiten war Willowglen von Matagouri und Sumpf umgeben, und an einer Seite führte die Bahnlinie nach Süden, hinaus aus Oamaru.
Ich erinnere mich an mein hilfloses Gefühl der Hoffnungslosigkeit, als ich durch den Schuppen ging, der am Hügel hinter dem Haus lehnte und mit einer Flut von Birnbaumblättern vom Vorjahr bedeckt war, und die Küche mit ihrem teilweise aus Erde bestehenden Boden sah, denn der Großteil des alten Holzbodens war eingebrochen. In der Küche stand ein Kohleherd und in der größeren Spülküche daneben ein alter Elektroherd. Ein Wasserhahn mit Wasser aus dem verrosteten Wassertank im Freien ragte durch die Wand der Spülküche. Überraschenderweise war hinter der Spülküche ein kleines Badezimmer mit einer Badewanne und einem Waschbecken, doch ohne heißes Wasser, und bis der Tank repariert war oder wir an die städtische Wasserleitung angeschlossen waren, gab es kein Wasser. Das Haus hatte vier Zimmer sowie Küche, Spülküche und Badezimmer, und in zweien der Zimmer standen Rücken an Rücken lange nicht mehr benützte offene Kamine, voll mit bröckelndem Schutt aus dem Schornstein; jedes Zimmer hatte seinen Haufen goldenen Holzwurmstaubs auf dem morschen Boden, der mit jedem menschlichen Schritt, dessen Vibrationen bis hinauf zu der von Holzwürmern durchlöcherten Decke drangen, höher wurde.
Draußen, neben der riesigen Monterey-Zypresse voller
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