Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie
erstes Jahr in Psychologie.
Mein heimlicher Wunsch, eine Dichterin zu werden, der durch die Veröffentlichung meiner zwei Gedichte in der Hochschulzeitschrift («Jetzt werden sie wissen, dass ich wirklich eine Dichterin bin!») neue Nahrung bekommen hatte, nahm einen Großteil meiner Planung in Anspruch. Ich war ebenso bestrebt, mit meiner Fantasie zu beeindrucken wie während meiner Schuljahre, nur gab es hier so viel mehr Menschen mit so viel mehr Fantasie, Prosaschriftsteller und Dichter überall – denn ich lernte, an Exemplare des
Critic
zu kommen, indem ich scheinbar ganz zufällig am Eingang zur Universität in der Nähe des
Critic
-Behälters mit seiner verlockenden Aufschrift «Greif zu» herumstand. Um einen Beitrag in Form eines Gedichts oder einer Kurzgeschichte unterzubringen, bedurfte es immer noch eines Besuches im Büro. Ich weiß nicht, weshalb ich keinen Beitrag mit der Post schickte. Ich vermute, dass ich im Hinblick auf die meisten menschlichen Aktivitäten, einschließlich des Aufgebens von Briefen, unwissend und naiv war. Ich war mir noch immer nicht der Zahl an täglichen Aufgaben bewusst, die normale Menschen zu erledigen haben. Ausgehend von meinem Leben zu Hausenahm ich an, dass man Briefe nur in andere Städte schickte, um Neuigkeiten wie Geburten, Todesfälle, Hochzeiten oder vergangene oder künftige Reisen zu übermitteln, wogegen Telegramme als schnelle Form der Kommunikation in erster Linie Todesfälle bekanntgaben oder die Ankunftszeit eines Zuges, der «durchfuhr» oder Verwandte absetzte; und Pakete bedeuteten Weihnachten. Ich hatte kaum angefangen, das Abc des Erwachsenenlebens zu lernen. Ich wusste Bescheid über Freude und über Liebe, erfahren am Punkt des Verlusts, und ich hatte den Tod akzeptiert. Ich vermeinte die Gefühle hinter den Gesichtern der Menschen zu erkennen, in ihren Augen, ihrem aufgesetzten oder kurz unkontrollierten Mienenspiel und in den Worten, die sie sprachen. Der Krieg verfolgte und verwirrte mich noch immer – «das Mitleid des Krieges, das Mitleid, das der Krieg vertiefte», und es waren weiterhin die Dichter, die mir die Orte erhellten, über die offenbar sonst niemand sprechen und die niemand aufsuchen wollte. Oft dachte ich sehnsüchtig an die Prophezeiung: «Man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk, und übt nicht mehr für den Krieg.»
Ich war bei Mrs T. in Kost, einer Witwe mit einer verheirateten Tochter, Kathleen, die in der neuen, staatlich geförderten Wohnsiedlung in Wakari wohnte, wo Mrs T. den Großteil ihrer Zeit zubrachte; nach dem Frühstück nahm sie den Bus – «Ich fahr rüber zu Kathleen» – und kam ungefähr um dieselbe Zeit nach Hause wie ich von der Schule. Mrs T.s einziges Gesprächsthema waren «Kathleen, Bob und die Kinder», was sie taten, was sie sagten, wie sie sich fühlten, wobei sie sich in Gedanken viel mit den Geschenken beschäftigte, die sie ihnen machen würde. «Ich habe etwas bei Arthur Barnetts gesehen und mir gesagt: ‹Das ist genau das Richtige für KathleensJüngstes, Kathleen sucht so etwas schon lange.›» Bob arbeitete in der Elektroabteilung, dem Ausstellungsraum in der Princes Street, und bekam einen Preisnachlass auf Heizkörper.
Um dem äußeren Anschein Genüge zu tun, nahm ich meine Mahlzeiten manchmal mit Mrs T. ein, anstatt sie in mein Zimmer mitzunehmen, «weil ich Lehrstoff aufholen, Arbeiten verbessern und Stunden vorbereiten muss …», und dann saß ich ihr gegenüber und hörte fasziniert zu, während sie ihren Tag «drüben bei Kathleen» schilderte – wie sie gemeinsam die Wäsche gewaschen und das Haus aufgeräumt hatten und dass Kathleen und Bob hofften, eines Tages in jedem Zimmer «Teppichboden» zu haben. «Es gibt heute schon ziemlich viele, die Teppichboden haben.» Ich, die «stille, schüchterne Lehrerin, kein Problem, überhaupt kein Problem», verbrachte den Großteil meiner Freizeit in meinem Zimmer mit Korrekturen und Unterrichtsvorbereitungen, schnitt verschiedenfarbige Papiersterne aus, um die Bemühungen der Kinder zu belohnen, arbeitete mein Psychologie-Lehrbuch durch und las und schrieb Gedichte.
Mrs T.s Haus war wie Jessie C.s Haus in Oamaru – ein Ort, an dem «andere Leute» wohnten; mit Teppichen und Tapeten mit Rosenmuster, mit einer Menge Möbeln und Nippes und mit gepolsterten Sofas ohne einen Riss; und im ganzen Haus keine Spur von Polstermaterial oder Holzboden oder Gitterstoff hinter den Tapeten. Es war Komfort mit einem Anflug von
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