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Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Titel: Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Tarnung. Aufgewachsen in einem Haus, in dem wir immer wussten und in vielen Fällen sehen konnten, was sich hinter den Wänden und unter dem Boden abspielte, fühlte ich mich in den Häusern «anderer Leute» nie so recht wohl. Selbst in Willowglen vermittelte die Trostlosigkeit unseresBodens aus Erde ein Bewusstsein der Realität (so stark, dass es fast schon Irrealität war), das sich mehr wie ein Teil des Lebens anfühlte als die gepolsterte Heimlichkeit in Häusern wie dem von Mrs T.
    Ich war begeistert von den Kindern in der Schule und vom Unterrichten. Ich steckte voller Ideen zur Ermutigung individueller Entwicklung. Ich ergötzte mich an den Zeichnungen der Kinder und an ihren Gedichten, denn sie schrieben fast jeden Tag Gedichte und Geschichten, und diese befestigte ich zusammen mit den Zeichnungen ringsherum an den Wänden, damit jeder seine Freude daran haben konnte. Ich gab mir auch Mühe beim Unterrichten der anderen Fächer. Als Mitglied des Lehrkörpers aber versagte ich, denn meine Schüchternheit in der Gesellschaft von Leuten, insbesondere derer, die vielleicht aufgefordert werden könnten, meine Leistungen als Lehrerin zu beurteilen und zu kommentieren, führte dazu, dass ich meine Freizeit allein verbrachte. Zu schüchtern, um morgens und nachmittags in einem Zimmer voll anderer Lehrer Tee zu trinken, entschuldigte ich mich damit, ich müsse «Arbeiten im Klassenzimmer erledigen», wobei mir bewusst war, dass ich damit allen Anweisungen im Hinblick auf das Erfordernis, «in der Gesellschaft Erwachsener zu verkehren und an gesellschaftlichen Ereignissen und Diskussionen mit anderen Lehrern und Eltern teilzunehmen», zuwiderhandelte und dass der «Morgentee im Lehrerzimmer» ein nahezu heiliges Ritual darstellte. Meine Angst davor, vom Direktor oder Inspektor «inspiziert» zu werden, ließ mich Mittel und Wege ersinnen, den Tag des Jüngsten Gerichts hinauszuschieben, indem ich eine Fortsetzungsgeschichte erfand, die ich jederzeit, wenn ich die Schritte der Autorität durch den Korridor herannahen hörte, fortsetzen konnte, sodass einBesuch des Direktors in einer Klasse, die voll gespannter Aufmerksamkeit dasaß (der Inhalt der Geschichte garantierte eine gespannte Zuhörerschaft), vielleicht meine Fähigkeiten als Lehrerin «beweisen» würde, mit dem Ergebnis, dass ich meine «C»-Eignungsprüfung am Ende des Jahres «bestand».
    Eine Ablenkung vom Unterrichten boten die Psychologievorlesung und das Psychologielabor, wo wir eine Reihe interessanter Experimente und Tests durchführten, die von zwei dynamischen neuen Professoren beaufsichtigt wurden, nämlich von Peter Prince und John Forrest, die wir Mr. Prince und Mr. Forrest nannten, denen ich jedoch die Spitznamen
Seine Königliche Hoheit
und
Ash
verlieh (nach Ashley, dem jungen, hellhaarigen, von Leslie Howard gespielten Mann in
Vom Winde verweht
). Da diese beiden jungen Männer, die erst kürzlich ihr Studium abgeschlossen hatten in einer Welt, in der junge Männer Mangelware waren, in gewisser Weise der Allgemeinheit und den Studenten gehörten, wurden sie zum Gegenstand von Gerüchten, Spekulationen und Fantasien. Ich zog
Seine Königliche Hoheit
vor, weil er, anders als Ash, ein «Introvertierter» zu sein schien, und gemäß der magischen, fix vorgegebenen Einstufung der Menschen waren die Maler und Dichter «Introvertierte». Wenn ich
Seine Königliche Hoheit
mit seinem langbeinigen, elastischen Gang und seinen großen Schritten auf seinem Weg durch die Frederick Street zur Universität gehen sah, das Gesicht zum Himmel gewandt, die Pfeife im Mund, dann dachte ich mir immer: «Er ist in einer anderen Welt.» Auch errötete er leicht, und wie der von mir verehrte G. M. Cameron war er von liebenswerter Unbeholfenheit in Sprache und Gestik. Ash, nicht so groß, sah gut aus und hatte blondes Haar, das ihm in einer Locke in die Stirn fiel, und anders als
Seine Königliche Hoheit
mit seinen dunklenAnzügen trug Ash ein rostfarbenes Sportjackett und tomatenrote Socken, auf die er sogar eines Tages im Labor mit den Worten hinwies: «Wie gefallen Ihnen meine Tomatensocken?», wobei er Tomate auf die
amerikanische
Art aussprach, nämlich
tomayto.
    Manche Frauen gerieten bei Ashs Anblick ins Schwärmen.
    Es war Ash – Mr Forrest –, der regelmäßig Grammophonabende im Grammophonraum der Musikabteilung organisierte.
    «All die Schallplatten, die fast niemand hört», sagte er in seiner direkten Art. (Mit der Zeit wurde er bekannt für seine

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