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Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Titel: Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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und die Erde selbst sowie die Anordnung der Gebäude und Bäume aufs Beste gedient hatten. Willowglen war das erste Heim, das uns gehörte. Natürlich musste das Geld an die Baugenossenschaft zurückgezahlt werden, und das Büchlein von Starr-Bowkett mit den gestempelten Quittungen nahm einen Ehrenplatz auf unserem neuen Kaminsims ein, neben Dads Dose mit Sixpence-Münzen – einer Kakaodose mit einem Schlitz im Deckel, wo er alle seine Sixpence-Münzen hineinwarf, bis die Dose voll war; danach schnitt er Stundenzettel in Streifen, machte eine lange Reihe aus den Geldstücken und rollte sie sorgfältig ein, bevor er damit in die Stadt ging, um sie gegen «echtes» Geld einzutauschen.
    Wie wir in diesem Sommer träumten! Wären wir im Winter nach Willowglen gezogen, dann hätten wir unseren Träumenvielleicht nicht nachhängen können, doch es war Sommer, Weihnachten war gerade vorbei, und wir hatten unseren eigenen Stechpalmenbaum und zum ersten Mal in unserem Leben unsere eigenen Föhren- anstatt der Zypressenzweige – was kümmerte es uns, dass wir keinen benutzbaren offenen Kamin hatten? Die Unmengen von Blüten, die die Obstbäume trugen, die Narzissen mit ihren verwelkten Köpfen, gerade noch sichtbar im langen Gras, der Luxus, so viele Bäume zu besitzen und so viel Gras, so viele Sumpfhühner und Enten und Aale und Seerosen im Bach, so viel Sommerhimmel und «unten im Wiesengrund» eine Anpflanzung junger Kiefern, denen man zuhören konnte, wenn der Wind durch sie wehte – das alles bereitete uns solche Freude, dass wir uns in Willowglen in das «Draußen» verliebten. Während jener wunderbaren grüngoldenen Sommertage fand ich einen Platz am Bach, einen alten Baumstamm, wie der alte Birkenstamm vor vielen Jahren. Dort saß ich stundenlang und sah dem Wasser zu, den Enten, den Sumpfhühnern und – durch den kaputten Drahtzaun hindurch – den Schafen, welche am Gras auf der umzäunten Weide knabberten, die halb Sumpf war und halb Matagouri –
mein Matagouri
. Meine Schwestern und ich erforschten die Straßen, die in die Stadt und weiter hinaus führten, und die Old Mill Road, die Teil der Folklore unserer Kindheit und unserer Jugendjahre gewesen war, als «weit draußen hinter der Alten Mühle wohnen» bedeutet hatte, am anderen Ende der Stadt zu wohnen, «hinter der Knabenoberschule», und als «mit einem Jungen um die Alte Mühle herumgehen» genau das bedeutete, was man sich vorstellt.
    Und als der erste Herbsttau auf dem Gras lag, Ende Januar, sammelten wir Pilze in unserem eigenen Kiefernwäldchen und auf dem Hügel gegenüber, wo man durch die Eukalyptusbäumehindurch auf den Bauernhof der Robertsons blicken konnte. Sie versorgten die Stadt mit Milch. Sie hatten einen Sohn namens Norman, der mit einem Stipendium die Universität besuchte. Ich hatte ein paarmal mit ihm gesprochen. Ich kann mich erinnern, dass ich sehnsüchtig gedacht hatte, er und ich könnten uns vielleicht ineinander verlieben und heiraten.
    Wenn Dad zu Hause war, hatte auch er seinen Platz. Sein Tischende befand sich beim Kohleherd, wo er durch das kleine Fenster sehen konnte, ob Besucher den Weg heraufkamen, und wo er Licht zum Lesen hatte. Das Sofa an der Wand gleich hinter der Küchentür war Bruddies Platz; sein Gewehr für die Hasenjagd hing an der Wand darüber, und in Momenten familiärer Spannung griff Bruddie nach seinem Gewehr und begann es zu reinigen, langsam, bedächtig, während Mutter ängstlich zusah und Dad, die Lippen wütend zusammengepresst, die Stundenzettel auf dem Tisch vor ihm glättete oder nach seiner Kakaodose griff und seine Sixpence-Münzen zu zählen begann. Oder er sagte: «Mum, wo ist meine Kreide?»
    Dad hatte seit Jahren Magenschmerzen, und weil er den Verdacht hegte, es könnte Krebs sein, weigerte er sich, zum Arzt zu gehen; stattdessen trank er eine Medizin, die von Tante Polly oder Tante Isy empfohlen worden war und die «Kreide» genannt wurde.
    Und Mum suchte die Kreide, bemaß die richtige Menge und gab sie ihm.
    Und die Episode war vorbei bis zum nächsten Mal.
    Wie jeder von uns hatte auch Mutter ihre Träume von Willowglen. Von ihrem Gefängnis der Arbeit, das sie sich selbst geschaffen hatte (denn wir betrachteten uns als erwachsen und waren bereit zu helfen, unter anderem, um die unsmittlerweile unangenehm gewordenen Erinnerungen von Mutter als ewiger Dienerin auszulöschen), blickte Mutter hinaus zu ihrem Traumort, der in Wirklichkeit ganz nahe, doch dem Anschein nach von ihr in ihrem

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