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Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Titel: Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Gefängnis weit entfernt war. Sie träumte von dem Augenblick, wenn sie «hinunter zum Wiesengrund» gehen würde, «in der Kühle des Abends», und einfach unter den Pinien sitzen, vielleicht ein Picknick machen und dem Wind in den Bäumen zuhören würde. Wir fanden heraus, dass die Sonne Willowglen auf spezielle Weise beschien. Anders als in der Eden Street 56, wo das Grundstück zur Gänze unter Sonne und Himmel gelegen war, hatte das Haus in Willowglen, am Westhang eines Hügels gegenüber einem Hügel auf der Ostseite gelegen und im Norden von Weißdornhecken, Hagedorn und Weiden begrenzt, nur kurz Morgensonne, weshalb das Haus selbst im Sommer kühl war, doch wenn man von der kühlen und oft kalten Welt des Hauses hinunterblickte, sah man unten im Wiesengrund am Bach und jenseits davon eine Welt, auf die die Sonne noch spät schien, im Sommer bis zum Abend; und wenn man so wie Mutter hinausschaute, während sich der Tag und die Arbeitsenergie rasch erschöpften, dann konnte man wohl das Gefühl haben, dass «unten im Wiesengrund» eine unerreichbare Welt der Sonne war.
    Wenn ich Mutter bat, doch hinunter zum Wiesengrund in die Sonne zu kommen, sagte sie in dem Tonfall, den sie annahm, wenn sie von Publikation sprach, von Christi Wiederkunft und nun auch vom weißen Fuchspelz als Geschenk zum einundzwanzigsten Geburtstag: «Eines schönen Tages …»
    Dann fügte sie hinzu, wobei sie sich der biblischen Redeweise bediente, die den «Wiesengrund» noch entfernter und traumhafter erscheinen ließ: «Eines schönen Tages, ‹in derKühle des Abends›, komme ich hinunter und setze mich unter die Kiefern, in die Sonne.»
    Im Januar kam die Nachricht, dass ich die zweite Klasse der Arthur Street School in Dunedin unterrichten sollte. Ich hatte um eine Klasse in dem Alter angesucht, das als «Latenzzeit» bezeichnet wurde, in der die Kinder als formbar, zuverlässig und problemlos galten und wo die «Probleme», falls es sie geben sollte, verborgen und unerkannt waren – ach, wie gründlich glaubten wir jenes mythische «Kind» zu kennen!
    Und als Antwort auf meine Anzeige in der
Otago Daily Times
– «Ruhige Studentin sucht Kost und Logis nahe Arthur Street School» – meldete sich eine Mrs T. aus der Drivers Road, Maori Hill, und bot mir «volle Kost und Logis» an. Und wieder einmal fuhren Isabel und ich mit dem vertrauten Bummelzug nach Dunedin, Isabel ihrem zweiten Jahr an der Pädagogischen Hochschule und Mrs R. in der Union Street entgegen, wo sie wohnte, seit wir bei Tante Isy ausgezogen waren, und ich dem Haus von Mrs T. in Maori Hill und meinem Referendarjahr an der Arthur Street School.

7
1945: Eins
    Wenn wir als Kinder mit unserer Identität und unserem «Platz» experimentierten, indem wir uns von uns selbst wegbewegten und die Planeten umkreisten, so machten wir in unseren mehrfach wiederholten Beschriftungen – Name, Straße, Stadt: Oamaru, North Otago, Otago, Südinsel, Neuseeland, Südhalbkugel, Erde, Universum, Planeten und Sterne – eine einfache Reise in Worten und vielleicht auch eine Prophezeiung des Seins; wir waren Lyriker, genötigt, sich der Möglichkeit von Epen bewusst zu werden, und bezogen diese epischen Möglichkeiten nüchtern in unser Alltagsdenken ein. Ich erwähne dies, weil 1945, ein Jahr, das für mich als persönliche Lyrik begann, aufgrund zufälliger Umstände, aufgrund der nationalen und globalen Ereignisse als ein Epos endete, welches das Universum, die Planeten und die Sterne einschloss und diesmal in Taten und nicht nur in Worten ausgedrückt wurde.
    Mit meinem heranwachsenden Ich traf ich in Dunedin ein. In diesem Jahr würde ich Ende August meinen einundzwanzigsten Geburtstag feiern. «Der Einundzwanzigste» galt als Teil des fortdauernden Rituals des Erwachsenwerdens, als Zeitpunkt, an dem man «volljährig» wurde, ein rechtmäßiger Staatsbürger mit der Befähigung zu wählen, ein Testament abzufassen – oder, wie das Lied lautete:
    Heut bin ich einundzwanzig,
    der Haustürschlüssel ist mein,
    ich war noch nie einundzwanzig,
    doch heut werde ich es sein.
    Am Jahresende, nach meinem Referendarjahr an der Arthur Street School, hoffte ich meine Unterrichtsbefugnis zu erhalten. Auch hoffte ich, mein geisteswissenschaftliches Studium an der Universität durch eine weitere Wochenstunde zu ergänzen, und weil ich das Gefühl hatte, dass Englisch III meine Interessen wahrscheinlich zu sehr in Anspruch nehmen würde, entschied ich mich für Psychologie I, ein

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