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Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Titel: Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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ich, äußerst kritisch und ohne Nachsicht für die Schwierigkeit, solche Briefe abzufassen, als schlimmstes Beispiel einer Prosa verdammte. Wo waren die persönlichen, freundlichen Worte des jungen Mannes, der sagte, ich litte an «innerer seelischer Einsamkeit»?
    Was ich nicht wusste, war, dass John Forrest sich aus gutem Grund dieser Sprache bediente: Er versuchte, mehreren Studentinnen zu entkommen, die eine romantische Bindung zu ihm entwickelt hatten!
    Der Tod ist ein dramatischer Vollzug der Abwesenheit; die Sprache kann beinahe ebenso wirksam sein. Ich hatte das Gefühl, dass sowohl Isabel als auch John Forrest verschwunden waren.
    Jeder von uns trug seine Trauer für sich allein, denn Isabel hatte mit jedem andere Seiten ihres Heranwachsens geteilt. Viele Jahre lang hieß es «Dots und Chicks» – Isabel und June –, die unzertrennlichen Freundinnen, so wie einst «Myrtle und Bruddie», während ich, das mittlere Kind, mich von einer Gruppe zur anderen bewegte, meinem Alter und meinen Interessen entsprechend, und als Bruddie krank wurde und Myrtle starb, war ich allein, bis Isabel und ich unsere Gruppe formten, und als June größer wurde, schloss sie sich wieder Isabel an, und ich war von Neuem allein. Bruddie war, außer in seiner frühesten Jugend, immer allein. Doch Isabel war so voller Leben gewesen, dass ihre Gegenwart und ihre Ansichten nicht so einfach ignoriert werden konnten, und als wir uns mit ihren «Sachen» zu beschäftigen begannen, wussten wir, dass sie schrecklich wütend sein würde, wenn sie sehen könnte, wie ihre besten Schuhe und ihr «Jiffy»-Mantel undihr eng anliegender «Shazaam»-Pullover von anderen getragen wurden. Sie hatte einmal gesagt: «Wenn ich sterbe und ihr meine Kleider nehmt und anzieht, dann komme ich herunter und erscheine euch als Geist.» Herunter? Glaubte sie denn an den Himmel?
    Als meine älteste Schwester Myrtle in ihrem sechzehnten Lebensjahr starb, ließ sie keinen Teil ihrer selbst, ihrer Gegenwart, in der Eden Street 56 zurück, vielleicht weil das Haus nie uns gehört hatte und immer die Gefahr bestand, wir könnten «auf die Straße gesetzt» werden, wogegen Isabel, die Willowglen geliebt hatte, es im Grunde nicht verließ, und obwohl das Haus klein war, war drinnen wie draußen Platz für die Erinnerung an Isabel, unter den Obstbäumen und Kiefern, den Silberpappeln, der Zypresse und den fünf Eichen; am Bach und beim Hagedorn, dem Holunderstrauch und der Weißdornhecke; unter der riesigen Monterey-Zypresse, in der die Elstern hausten und die Kuckuckskäuze und der Steinkauz, der während des Krieges «deutsche Eule» genannt wurde, weil er angeblich kleinere Vögel angriff; und im stillen, goldenen, von der Sonne erleuchteten Gras, «unten im Wiesengrund».
    Nachdem das nun schon bekannte Ritual von Tod und Begräbnis beendet war, beschloss ich, bei meinem Plan zu bleiben, in Christchurch zu leben und zu arbeiten. Ich musste weg von Willowglen. Denn unterschwellig schwang immer mit: «Ich hoffe, es greift Janet nicht allzu sehr an. Du weißt ja … sie war in Seacliff.» Seit meinen sechs Wochen in Seacliff sprach man mit mir nur ungern über «ernste» Angelegenheiten, und diese spezielle Fürsorglichkeit missfiel mir. Ich war auch schüchtern, was die Gesellschaft anderer Menschen betraf, und wenn Besucher kamen, was zur Zeit von Isabels Begräbnisoft der Fall war, ging ich rasch auf mein Zimmer, verfolgt von meiner Mutter, die auf der Schwelle stand, Bestürzung und Tadel im Blick: «Warum kommst du nicht heraus?»
    Oder wenn Besuch erwartet wurde, sagten Mutter oder Dad: «Mrs W. kommt heute Nachmittag. Kommt Janet heraus?»
    Ich hielt mich versteckt. Ich trauerte. Ich wollte nicht, dass es jemand «sah», denn seit ich in der Anstalt gewesen war, hatte ich erkannt, dass die Leute nicht nur «sahen», sie
suchten
gründlich.
    Ich las die Rubrik mit den Stellenangeboten in der
Press
, einer Zeitung aus Christchurch. Die einzigen freien Stellen mit Verpflegung und Unterkunft gab es in Kinderheimen, in der Gehörlosenschule in Sumner und in den üblichen Hotels und Pensionen. Als ich mir einen Stadtplan von Christchurch und seinen Vororten ansah, wurde ich in zunehmendem Maße beunruhigt von der Länge der Straßen und den unbekannten Namen, die dennoch irgendwie bekannt waren – Linwood, Burwood (gab es da nicht ein Heim für schwer erziehbare Mädchen, so wie die Erziehungsanstalt in Caversham?), Burnham mit den sich kilometerweit dahinziehenden

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