Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie
glaube ich, es muss der beste Ausblick über die Welt sein, der sogar weiter reicht als der Ausblick von den Bergen der Liebe, ihm gleich in seiner Entrückung und seiner ernüchternden Entblößung, dort, in der Nachbarschaft deralten Götter und Göttinnen. Der Akt der Rückkehr in die Welt jedoch versetzt diesen Ausblick in die Vorratskammer des Geistes, von Thomas Beecham als «der Raum fünf Zentimeter hinter den Augen» bezeichnet. Man entsinnt sich dieses Schatzes und seines Midaseffekts auf jeden Augenblick, und manchmal kann man das Glitzern unter dem gewöhnlichen Abfall eines jeden Tages sehen.
Die folgenden Jahre bis 1954, als ich endgültig aus dem Krankenhaus entlassen wurde, waren voller Angst und Traurigkeit, hauptsächlich bewirkt durch meine Gefangenschaft und die Behandlung im Krankenhaus. Am Anfang meines Aufenthaltes dort gab es zwei oder drei Perioden von mehreren Wochen, in denen mir gestattet war, die Anstalt zu verlassen, und jedes Mal musste ich wieder zurückkehren, da es keine Möglichkeit für mich gab, irgendwo anders zu leben; ich hatte immer Angst, wie ein Verurteilter, der zum Scharfrichter zurückkehrt.
Während meiner ersten Rückkehr nach Oamaru inserierte ich in der Rubrik für Stellenanzeigen der
Oamaru Mail
und unterzeichnete mit «Gebildet», und aus den drei Antworten, die alle mit «Sehr geehrte Gebildete» begannen, wählte ich die von Mr O. aus, dessen Frau bettlägrig war; sie litt an einer Krankheit, die «Schleichlähmung» genannt wurde. Einen Monat lang putzte ich ihr Haus, wusch und bügelte und betreute Mrs O., die still ins Elend ihrer Krankheit versunken dalag, während ihr Mann, obgleich gesund und den ganzen Tag wegen seiner Arbeit außer Haus, die Spuren der Versenkung seiner Frau an sich trug: Er schwitzte seine weißen, sauber gebügelten Hemden durch, und ständig stand ihm der Schweiß auf der Stirn. Sie redeten nicht viel mit mir, außer um ihre körperliche Verfassung zu erwähnen.
«Mein Mann schwitzt sehr viel», sagte Mrs O.
«Der Arzt sagt, ihr Zustand verschlechtert sich langsam», sagte Mr O.
Nachdem ich heiterer Stimmung in Willowglen aufgewacht und in der klaren Luft durchs nasse Gras gegangen war, wie in einem Sonnenbad aus Grün und Blau, und dann die Abkürzung durch den Park von Oamaru genommen hatte, vorbei am glitzernden Teich voll lärmender Enten, hinauf über die Bahngeleise bis zum unteren Teil des South Hill, wo ich kurz stehengeblieben war, um über die Stadt und das Meer zu blicken, die ganz vom Morgen durchtränkt waren; und nachdem ich dann an den Akeleien vorüber zur Eingangstür der O.s gegangen war, betrat ich dieses Haus grauer Leute, gebadet in Schweiß und Tränen, und ich spürte, wie das sanfte Fließen von Sonne und Morgen versiegte. Von Mrs O.s Zimmer hatte man nicht einmal eine Aussicht. Ein großer dunkler Schrank, zur Hälfte vor das Fenster gestellt, warf einen steil aufragenden Schatten in der Form eines Kriegers, der die Hand zur Zerstörung erhoben hatte.
Ich verließ die O.s. Von meinem Lohn konnte ich mir ein Gebiss für den Oberkiefer kaufen. Ich beschloss, die Einladung meiner Schwester und ihres Mannes anzunehmen und eine Weile bei ihnen in Auckland zu wohnen.
In Auckland versetzte mich alles um mich herum in einen Zustand großer Sensibilität – die Fremdheit und Hitze, das ununterbrochene Geräusch der Zikaden und Grillen, die Moskitostiche, meine erste Erfahrung mit dem subtropischen Licht, einem Hin und Her zwischen greller Helligkeit und paradiesischer Wolkenweichheit, wie ein Unwetter, das sich drückend und unaufhörlich zusammenbraut. Es war beinahe Sommer, und die Welt war voll blauer Blumen, die das Blaudes Himmels anzogen, es fast aufsaugten, bis ihre Farbe sich am Abend durch das Übermaß an Blau verdunkelte. Ich empfand ein Gefühl der Nichtigkeit und des Nirgendwo, als hätte ich nie existiert – oder, wenn ich existiert hatte, so war ich jetzt von der Erde getilgt. Irgendwie war ich in eine Zeitspalte gefallen; und viele dieser Gefühle kamen daher, dass ich mit niemandem «in Berührung» war und niemanden hatte, mit dem ich über mein Inneres sprechen konnte. Ich war mein übliches lächelndes Selbst, ich lächelte, ließ meine sperrigen neuen falschen Zähne blitzen und redete über dies und das und alltägliche Angelegenheiten. Ich schrieb meine Gedichte, zeigte sie aber niemandem. Ein Mitglied meiner Familie war auf eine meiner Kurzgeschichten gestoßen, hatte sie gelesen und
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