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Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Titel: Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Tag ihrer Abreise fallengelassen worden waren. Dazu kam noch die Tragödie von Mutters Urlaub und die romanhafte Perfektion der Ereignisse, ohne Rücksicht auf Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit. Mutters Bürde war unvorstellbar: der Unfall, die Leichenbeschau (ihre zweite) und die lange Zugfahrt nach Hause mit dem, was nun offiziell «der Leichnam» war.
    Auf dem Bahnsteig des Bahnhofs von Oamaru warteten wir auf den Zug aus Picton. Alle wussten Bescheid und blickten Dad, Bruddie, June und mich voll Anteilnahme an. Am Ende des Bahnsteigs, am Wareneingang neben der Männertoilette, wartete der Bestattungsunternehmer mit dem Leichenwagen, der mit der Heckklappe zum Bahnsteig stand. Der Zeitungskiosk und die Imbissstuben hatten wegen des Expresszuges geöffnet, und die Serviererinnen standen in einer Reihe hinter der Theke, bereit für den Ansturm der Reisenden auf ihre heißen Pasteten, Sandwiches, Kuchen und Erfrischungsgetränke. Vielleicht wusste es doch nicht jeder – dieFlut von Wissen und Nichtwissen wogte hin und her, sobald neue Reisende, Fremde, ankamen und warteten; und jenseits des Bahnsteigs, hinter den Reihen alter roter Personen- und Güterwaggons, schlug das ruhige Sommermeer, graugrün wie Stein, sacht mit seinen Wellensäumen an die Felsen am Strand. Ich konnte das Wasser nicht sehen, aber ich wusste, dass es da war, und selbst vor meinem inneren Auge konnte ich die Schaumblasen berühren und das Wasser spüren, wie ein graugrüner Stein, der plötzlich durchsichtig und flüssig wird.
    Wir hörten das Telefon im Büro des Fahrdienstleiters läuten, und ich dachte: Pukeuri ruft an, der Zug ist unterwegs. Ich wusste nicht, ob meine Vermutung richtig war, ich wusste nur, dass kurz vor der Ankunft jedes Zuges das Telefon im Büro des Fahrdienstleiters läutete: Das war Eisenbahn
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.
    Plötzlich rauchte und dampfte es, man hörte Bremsgeräusche, und alle traten zurück, damit es sie nicht «darunterzog» – eine weitere Reaktion auf das überlieferte Eisenbahnwissen. Und dann fuhr der Bestattungsunternehmer seinen Leichenwagen so nahe wie möglich an den Zug heran, und sie hoben aus dem Güterwaggon einen Sarg in mattem Silber, aber es war Blei.
    «Damit sie nicht zu riechen anfängt», flüsterte jemand, aber ich weiß nicht mehr, wer es sagte, denn eine solche Bemerkung, damals sehr unbedacht, hätte nur Isabel selbst äußern dürfen!
    Und da kam Mutter die Stufen des Waggons herunter; Umarmungen und Tränen und wenige Worte, Dads «es ist alles vorbereitet» und unser «Miss Wilson von der Waitaki-Schule hat uns besucht», mit einer Art Frohlocken ausgesprochen, so als habe der Tod uns dazu veranlasst, mit einer langenBuchführung zu beginnen: Verlust und Gewinn, der erste Bonus.
    Mutter war fassungslos, ihre Augen waren voller Angst, und ihre graubraunen Haare unter dem breitkrempigen «Florentiner» waren weiß geworden.
    Anders als im Haus in der Eden Street 56 in Oamaru mit seinem großen, dunklen, nach Äpfeln riechenden Vorderzimmer war in Willowglen kein Platz, um die Toten zu beherbergen; außerdem war es zu weit und zu steil, um den Sarg den Hügel hinauf- und wieder hinunterzutragen, und so blieb Isabel in der Kapelle der Bestattungsunternehmens und wurde von dort aus zu Grabe getragen, und nur Bruddie und Dad und Mutter nahmen am Begräbnis teil. Vielleicht waren auch ein paar meiner Erinnerungen aus jener Zeit dabei und wurden mit Isabel begraben.
    Die Beileidschreiben und -telegramme trafen ein und wurden beantwortet. Die nach einzelnen Posten aufgegliederte Rechnung des Bestattungsunternehmens traf ein und wurde bezahlt. Auch eine Arztrechnung kam, an Isabel adressiert, «für Hilfeleistung im Schwimmbad», damals, als sie kollabiert war. Und unter den Beileidschreiben war auch eines von John Forrest, das folgendermaßen begann: «Tief betrübt erhielt ich die Nachricht von dem schmerzlichen Verlust, den Sie und Ihre Familie hinnehmen mussten», und mit den Worten endete: «Mit herzlichen Grüßen, John Forrest». Ich weiß noch den ganzen Brief auswendig, so erschütterte mich sein Wortlaut und so wenig konnte ich die herkömmlichen Beileidsbekundungen akzeptieren, wie auch die Tatsache, dass es John Forrest derart an Einfühlungsvermögen fehlte, dass er einen solchen Brief zu schreiben vermochte. Ich fühlte mich von der Welt der Sprache verraten, die ich mir selbst zu eigengemacht hatte. Was zu mir durchdrang, war nicht eine Bekundung der Anteilnahme, sondern eine Sprache, die

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