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Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Titel: Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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äußerte die überzeugte Ansicht, dass aus mir nie eine Schriftstellerin werden würde. Manchmal, wenn ich zu sagen begann, was ich
wirklich
empfand, und dabei einen Vergleich oder eine Metapher, ein Bild verwendete, bemerkte ich die Verlegenheit im Blick meines Zuhörers – es war die Verrückte, die sprach.
    In den ersten Wochen meines Aufenthalts in Sunnyside hatte ich mit John Forrest korrespondiert, doch seine für Familie und Freunde bestimmten Kohledurchschläge mit ihrer jovialen Anrede
Liebe Freunde
ernüchterten mich, und nachdem ich während meines Aufenthalts in Oamaru erfahren hatte, dass er geheiratet hatte, schrieb ich, die ich mich von Natur aus ausgeschlossen fühlte, nicht länger die offenherzigen Briefe in meinem Stil der «Verwandtschaft» mit van Gogh und Hugo Wolf, in denen ich meinen Fantasien Ausdruck verliehen und mein Verhalten beschrieben hatte.
    Mein Aufenthalt bei meiner Schwester und ihrem Mann war kein gelungener. Sie und ihr kleiner Sohn bildeten eineEinheit, während ich linkisch im Hintergrund stand, und wenn jemand zu Besuch kam und in meine Richtung blickte, verstärkten sich meine Schüchternheit und Befangenheit, die aus dem Gefühl, nirgendwo zu sein, herrührten, wenn die Freunde meiner Schwester fragten: «Wie geht es ihr?», «Gefällt es ihr in Auckland?» Ich war zu einer dritten Person geworden, zu Hause in Willowglen und nun hier in Auckland. Manchmal fragten die Leute, als wäre ich mein eigener Nachruf: «Wie war sie?» Als ob ein archäologischer Fund vor ihnen stünde und sie mit Augen, Herz und Geist einen «Karbon»-Test durchführten, um mich zu benennen, zu datieren und zu
platzieren
– ach, wenn ich doch nur einen Platz hätte! Es schien Jahre her – und war es auch –, dass die Caxton Press meine Kurzgeschichten zur Veröffentlichung angenommen hatte. Ich hatte darauf vergessen.
    Ich konnte dieses Nichtvorhandensein nicht mehr ertragen. Ich zog mich in mein Inneres zurück, oder besser, ich bediente mich dieser Maske, während mir gleichzeitig alles vollkommen bewusst war. Ich, in meiner Nichtigkeit und in meinem Nirgendwo, bestand auf der Nichtigkeit und dem Nirgendwo von allem und jedem um mich herum. Dieser Geisteszustand führte klarerweise zu meiner Einlieferung in die Nervenklinik von Auckland in Avondale; zumindest war sie ein «Platz» für mich, von dem man annahm, dass ich mich dort «zu Hause» fühlte. Ich fügte mich rasch in meine Wahlheimat ein und sprach von Neuem flüssig ihre Sprache. Das Elend und die Unmenschlichkeit waren fast unbeschreiblich. Ich habe viele, viele Szenen aus dem überfüllten Aufenthaltsraum und dem Hof im Gedächtnis behalten, und wenn ich
Gesichter im Wasser
nochmals schriebe, würde ich viel von dem einbeziehen, was ich ausließ, weil ich nicht wollte, dass dieAufzeichnungen einer Ex-Patientin allzu dramatisch ausfielen. Die Aufnahmestation, Station Sieben (?) mit ihrem Park und dem Weidenbaum und ihrer freundlichen Stationsschwester ist mir als eine Oase in Erinnerung, und niemand hätte sich träumen lassen, dass dahinter die Gebäude standen, die man
Park-Heim
nannte und wo menschliche Wesen zu Tieren wurden oder sich rasch verwandelten und wie Tiere lebten.
    Die dort verbrachten Jahre waren voller Tragik und oft auch voll Humor, obwohl die vorherrschende Stimmung eine Stimmung ewiger Verdammnis war, bar jeder Hoffnung.
    Während meines Aufenthalts in Avondale wurde mein Kurzgeschichtenband
Die Lagune
veröffentlicht. Ich war in die Aufnahmestation verlegt worden. Ich war mager, hatte wunde Stellen und Ohrenausfluss; alle im Park-Heim hatten wunde Stellen oder infizierte Glieder, und trotz des wöchentlichen Kämmens mit Kerosin hatten einige Läuse. Ich lag in der Aufnahmestation im Bett, als meine Schwester und ihr Mann mir sechs Freiexemplare der
Lagune
brachten. Ich breitete sie auf der staatlichen weißen Steppdecke aus, die mit dem neuseeländischen Wappen bestickt war: Ake Ake, Vorwärts, Vorwärts. Ich fand den Umschlag des Buches wunderschön, mit seinem zartblauen Muster, wie ineinander verschlungene Stängel wildwachsenden Grases. Ich blätterte die Seiten um und spürte die winzigen Körnchen im Papier.
    «Was soll ich damit machen?», fragte ich.
    Sie, die mehr über solche Dinge wussten als ich, erklärten, wenn man ein Autor war, müsse man seine Unterschrift unter den gedruckten Namen setzen.
    «Wirklich?» Ich war beeindruckt.
    Ich schrieb meinen Namen in jedes Exemplar und schenkte sie denen,

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