Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie
die ihrer Meinung nach «ein Exemplar bekommensollten»; eines behielt ich für mich. Mein Buch.
Die Lagune und andere Erzählungen
. Die Caxton Press, nicht ich, hatte sich für diesen Titel entschieden.
Da meine Schwester und ihr Mann die Südinsel besuchen wollten, wurde anschließend beschlossen, dass ich mit ihnen nach Hause, nach Oamaru, reisen sollte. Meine Schwester würde mit mir und ihren beiden kleinen Söhnen fliegen, während ihr Mann mit dem Auto fahren und etwa zehn Tage später in Oamaru ankommen würde.
Auf dem Flug nach Oamaru mussten wir in Christchurch das Flugzeug wechseln, und während wir darauf warteten, überflog ich, in Gedanken noch immer bei meinem Buch, ein Exemplar der Christchurch
Press
, die Literaturseite, um zu sehen, was «sie» über mein Buch sagten. Am Fuß der Seite tat eine fünf- oder sechszeilige Kritik
Die Lagune und andere Erzählungen
mit Floskeln ab wie: «So etwas ist schon versucht worden, zu oft … keine Originalität … Zeitverschwendung, ein solches Buch zu veröffentlichen.» Die Literaturkritiker dieser Zeit, zur Überzeugung gelangt, dass unsere Literatur endlich «den Kinderschuhen entwachsen» sei, empfanden es als peinlich, dass so viele Schriftsteller über ihre Kindheit schrieben. Ihre Überlegung war: Wie konnte eine Nation erwachsen sein, wenn sie über ihre Kindheit schrieb? Man sehnte sich verzweifelt nach «Reife», zum Teil weil «Reife» unter den verschiedenen anderen Ausdrücken für Wachstumsstadien ein Modewort war.
Als ich die Kritik in der
Press
las, empfand ich ein Gefühl schmerzlicher Demütigung und Zurückweisung; die Qual, nicht zu wissen, wo ich
hingehörte
, wurde noch größer – wenn ich nicht in der Welt des Bücherschreibens leben konnte, wo sollte ich sonst überleben?
Der Besuch meiner Schwester in Willowglen mit ihren beiden Söhnen war ein aufschlussreiches Desaster. Mit offensichtlich nostalgischer Gier nach Macht über die Jugend stürzte sich mein Vater auf die Jungen, überwachte sie auf Schritt und Tritt; ja, sie durften sich nicht rühren, ohne dass er in scharfem Ton «Na, na» sagte und auf lange nicht benutzte Sätze zurückgriff wie «Gleich kriegt ihr meine Hand zu spüren», «Macht das noch einmal, und ich ziehe euch bei lebendigem Leib die Haut ab». Die Jungen waren etwa drei und eineinhalb Jahre alt und konkurrierten erbittert um jeden Besitz, vom Spielzeug bis zur Zuwendung. Auf sie konzentrierten sich die starken Gefühle aller Erwachsenen. Sie wurden in Augenschein genommen, als wären sie öffentlich ausgestellt; sie wurden beurteilt, kritisiert, gewarnt, getadelt, beschrieben, und ihre Zukunft wurde geplant. Mein Vater beobachtete sie, so, wie er unsere Katzen beobachtet hatte, die er nur selten zum Spielen in die Küche ließ, während wir uns um sie scharten, um uns gemeinsam an ihren Possen zu erfreuen – bis Dad, der Befehlshaber, wie ein König, der seine Hofnarren beaufsichtigt, rief: Genug! Hinaus!
Und die Katzen wurden miauend und verdutzt in die kalte Nacht hinausgestoßen, während unsere Freude sich in Enttäuschung und Traurigkeit verwandelte.
Als erklärte Außenseiterin der Familie empfand ich es als demütigend zu sehen, wie meine Mutter sich vertraut mit meiner Schwester über Ehe und Bett und Geburt unterhielt, wohingegen sie mit mir nie über solche Dinge zu sprechen gewagt hatte, und wenn meine Schwester Jahre später mitunter sagte – und damit über einen Teil von Mutter sprach, den ich nie kennengelernt hatte –: «Als Myrtle geboren wurde … bevor Bruddie kam …», fühlte ich mich wie ein Kind, dasausgeschlossen ist von der Zuwendung seiner Mutter. In unserer Familie ging es immer um den Kampf zwischen Machtlosigkeit und Macht, wobei die Nähe zu jemandem und die Fähigkeit, diese Nähe unter Beweis zu stellen, zu einem Symbol größter Macht wurden, so als ob sich jedes Familienmitglied ständig durch ein Dickicht von Entbehrungen kämpfte und dabei winzige, zärtlich gehegte Blüten in der Einöde pflanzte, in dem Bedürfnis, die anderen Familienmitglieder, die vielleicht auf ihrer Reise durch die Wüste nicht so weit vorgedrungen waren, auf sie hinzuweisen, sie ihnen zu beschreiben und sich darüber zu freuen. Und zu guter Letzt kommt die Einsicht, wo jeder begreift, weshalb die anderen manchmal mit offenkundiger Schadenfreude über ein Missgeschick reagieren oder sprechen oder den errungenen Abstand sorgfältig abstecken und die Sieger und Verlierer benennen
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