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Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Titel: Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Kellnerin und enden wie T. oder M.
    Dann kam die Frage: «Und was ist mit dir? Was machst du eigentlich hier?»
    Worauf ich sagte, dass ich ein Buch geschrieben hätte, aber da ich kein Exemplar der
Lagune
besaß, weil viele meiner Bücher verschwunden waren, als man mich lebenslänglich im Krankenhaus, das heißt tot, wähnte, waren meine Kolleginnen skeptisch. Ich zeigte ihnen mein Gedicht «Die Kellnerinnen», das im
Listener
abgedruckt worden war, unter meinen Initialen.
    Ihr größter Wunsch jedoch war es, dass ich eine von ihnen werden, mich ihren Aktivitäten anschließen sollte.
    «Deine Haare, deine Kleider, sie sind scheußlich. Und dein Lippenstift hat die falsche Farbe. Du musst aufpassen, was für Farben du trägst bei deinem roten Haar. Niemals Rot – das beißt sich. Grün- und Brauntöne. Oder Blau, das passt zu deinen blauen Augen. Warum kommst du Samstagabend nicht mit uns zum Tanzen in die Stadthalle? Und warum lässt du dir die Haare nicht glattziehen? Glatt würden sie viel besser aussehen.»
    Nach Jahren, in denen andere über mich verfügt hatten, unter Androhung von Einzelhaft oder «Behandlung», falls ichnicht gehorchte oder, um den offiziellen Ausdruck zu gebrauchen, «unkooperativ» war, war ich bereit, jeden Vorschlag anzunehmen. Grün und Braun wurden
meine
Farben. Kühn ging ich in die Kosmetikabteilung im Warenhaus DIC, wo die Verkäuferin Lippenstifte auf meinem Handrücken ausprobierte und so «meinen» Farbton «Mandarine» auswählte. Ich kaufte Rosenmilch für meine Haut und das Parfum «Evening in Paris» in einer tiefblauen Flasche. Und als die anderen Kellnerinnen meine Bemühungen sahen, «etwas aus mir zu machen», wie sie es ausdrückten, waren sie zufrieden. «Jetzt bist du eine von uns», sagten sie.
    Nach der Arbeit saßen wir zusammen und redeten über unsere Kleidung, unsere Haare, unseren Chef und seine Frau und übereinander und dass Mabel übergeschnappt sei und Laura ein bisschen «komisch» – wer glaubte ihr schon die Geschichte mit der Verlobung mit dem Taxifahrer, wo er sich doch gar nicht in ihre Nähe wagte? Ja, wer schon?, dachte ich, denn Mabel und Laura waren nur zwei der innerlich Unangepassten, die sich ohne viel Mitgefühl oder die Hilfe anderer von Hotel zu Herberge und Pension treiben lassen, wo sie ein vorübergehendes Zuhause finden und «für soundso viel die Woche, alles inklusive» arbeiten. Ich fühlte mich als eine von ihnen: Wo sonst konnten sie leben?
    Meine Flitterwochenwonne fand schließlich in der Hotelküche ihr Ende. Die Portionen für Männer und Frauen waren unterschiedlich, die Männer bekamen mehr, und wenn es sich um ein Hühnchen handelte, die
Keule
oder den
Flügel
, während die Frauen weniger bekamen und immer die Hühner
brust
, und wenn ich durch die Schwingtür trat, um meine Bestellung aufzugeben, musste ich schnell rufen:
Hühnchen, ein Gent
oder
Hühnchen, eine Lady. Rindfleisch, ein Gent, Rindfleisch, eineLady
. Meine Stimme war leise, ich schrie ungern, und ich empfand das Wort
Gent
als geschmacklos. Deshalb gab ich meine Bestellung mit den Worten
Hühnchen, ein Mann, Rindfleisch, eine Frau
auf und warf so all die alten Küchengepflogenheiten des Grand Hotel über den Haufen.
    Die zweite Köchin, eine schroffe, tyrannische Frau, begann meine Ausdrucksweise hänselnd und wütend zu attackieren und weigerte sich, meinen Bestellungen nachzukommen, wenn ich sie nicht in der herkömmlichen Weise aufgab, und da sie meinen Widerwillen spürte, bestand sie darauf, dass ich meine Bestellung mehrmals wiederholte. Das Bestellen der Mahlzeiten wurde mir zur Qual. Eines Tages lief ich in Tränen aufgelöst aus dem Anrichtezimmer hinauf in meine Mansarde, und als Pat, die Kellnerin, in mein Zimmer kam, sagte ich, ich fühlte mich nicht wohl.
    Ich fragte mich, was ich tun sollte, wohin ich gehen sollte. Es gab keine Möglichkeit. Ich versuchte, ruhig zu bleiben. Ich war doch frei, nicht mehr eingesperrt. War ich frei?
    Am Abend ging ich wieder in den Speisesaal.
    «Beachte Molly einfach nicht, sie ist eben so», flüsterte Pat, als wir am Serviertisch standen und darauf warteten, dass die Gäste hereinkamen.
    «Heute Abend sind sie spät dran. Es wird ewig dauern, bis wir wegkommen. Aber beachte Molly nicht.»
    Pat war groß, mit dunklen, lockigen Haaren. Es war ihr Ziel, hinauf in den Norden zu gehen und eine Konditorei zu übernehmen und vielleicht zu kaufen.
    «Kommst du morgen Abend mit in die Stadthalle?», fragte sie. «Wir

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