Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie
gehen alle.»
Ich hatte mir bei DIC einen modischen Stoff gekauft,
Everglaze
, ein knitterfreier Baumwollstoff, der letzte Schrei, undein Schnittmuster dazu und war dabei, mir mit der Hand ein Kleid zu nähen, das ich irgendwann zum Tanzen anziehen würde. An diesem Abend inspizierte Pat mein Kleid und half mir mit dem Saum des Glockenrocks.
«Glockenröcke sind schwer zu säumen.»
«Wirst du wirklich Schriftstellerin?», fragte Pat.
«Ich hoffe es.»
«Beachte Molly in der Küche gar nicht. Zweite Köchinnen sind immer so. Die Chefköchin kommandiert herum, die zweite Köchin macht sich wichtig und die dritte Köchin macht die ganze Arbeit. Ich hab mich schrecklich gefühlt, als ich hier anfing. Ich hatte vorher einen Nervenzusammenbruch, weißt du.»
«Ich war in der Nervenheilanstalt», sagte ich und brach in Tränen aus.
Am nächsten Abend gingen Pat und ich und zwei von den anderen todschick herausgeputzt, ich in meinem neuen Everglaze-Kleid mit dem Glockenrock und den Keulenärmeln, in die zwei Häuserblocks entfernte Stadthalle.
«Ist es nicht klasse, dass man überallhin zu Fuß gehen kann, wenn man in einem Hotel wohnt?»
Die Tanzveranstaltung in der Stadthalle hatte schon angefangen, die Band spielte, man hörte das schleifende Geräusch der Tänzer auf dem bestäubten Fußboden, aber es waren noch nicht viele Tänzer da. Eine Reihe von Männern stand an einer Wand, eine Reihe von Frauen an der gegenüberliegenden; die Frauen warteten verlegen darauf, dass die Männer sie zum Tanzen aufforderten, während die Männer sie musterten und dabei ruckartige, hüpfende Bewegungen machten und mit den Füßen auf dem Boden scharrten, fast wie Preisstiere bei der Ausstellung.
Ich saß bei den anderen Mädchen vom Hotel. Eine nach der anderen wurde zum Tanzen aufgefordert. Ich blieb sitzen, noch voll angenehmer Erwartung, bewegte den Kopf im Takt der Musik, klopfte im Rhythmus mit den Füßen auf den Boden, um jedem, der vielleicht in meine Richtung blickte, zu zeigen, dass ich nur zu gern tanzen wollte – aber doch nicht allzu gern, nicht so, dass ich meinen Stolz vergaß; doch wie viel Stolz kann man haben, wenn man darauf warten muss, aufgefordert zu werden?
Ich hatte ein Geheimnis: Dies war mein erster Tanzabend, abgesehen von den Tanzveranstaltungen im Krankenhaus, wo ich viele Schritte gelernt und zwei anhängliche Partner gehabt hatte – den kahlköpfigen Mann mittleren Alters, der alt genug war, um mein Vater zu sein, und den traurigen jungen Ex-Soldaten, dunkel und schön, der glaubte, er kämpfe immer noch im Zweiten Weltkrieg in Italien. Als ich ein Kind war, war ich stets aufgeregt bei den Abenteuern des
ersten Mals
und begierig darauf, sie mit anderen zu teilen. Nun hatte ich so viele Erfahrungen des Alltagslebens versäumt, dass meine «ersten Male», nicht mehr im Gleichschritt mit den «ersten Malen» der anderen, als peinlich empfunden wurden. Auch hatte ich Literatur über erste Tanzabende verschlungen, darunter die Erzählung von Katherine Mansfield, doch selbst der Titel «Her First Ball», «Ihr erster Ball», wurde von meinen Schwestern und mir auf vulgäre Weise gedeutet, weil die jungen Farmer, Isabels Partner bei den Tanzereien im Wollschuppen, gern anzügliche Bemerkungen über die «balls», also die «Eier», von Farmern und Schafscherern und so weiter machten, die Isabel rasch aufschnappte, und so passte das Wort «ball» beziehungweise «Ball» nicht mehr zu Mutters Träumen von Wiener Walzern und Wiener Nächten.
Es
war
ein Ereignis – meine erste Tanzveranstaltung; der Schweißgeruch, das Geplapper, die Musik; die glänzenden Nasen, die mit einer Puderquaste betupft wurden. Ich hatte Schweißblätter aus Gummi in die Armausschnitte meines Kleides genäht, und ich spürte den klebrigen Gummi an meiner Haut. Ich saß immer noch geduldig wartend da, sah den Tänzern zu und versuchte so zu tun, als sei dies der Grund dafür, weshalb ich in der Stadthalle war – um den Tänzern zuzusehen. Ah, da kam die Maxina, der Twostepp und, oh, der Destiny. Ich beherrschte sie alle. Fordert mich auf, fordert mich doch auf. Eine ältere Frau saß neben mir und sprach mich an.
«Wir könnten hinaufgehen und ihnen zusehen. Von oben hat man eine gute Aussicht.»
Ich setzte mich auf einen anderen Platz. Wie konnte sie es wagen, wie konnte sie sich erdreisten anzunehmen, dass ich genauso war wie sie, eine alte Schachtel, die nicht tanzte! Sogar die leicht übergeschnappte Laura tanzte. Und
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