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Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Titel: Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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zwischen den Schafen zu sitzen und zu versuchen, alles zu vergessen außer dem Himmel, über den die Pfeile der Zirruswolken fegten, die mit meinem extraweichen Bleistift zu zeichnen ich mir solche Mühe gegebenhatte. Ich borgte mir ein kleines Zelt von Bruddie aus, der während meines Aufenthalts in der Anstalt seine eigenen Abenteuer in Neuseeland und Australien erlebt hatte. Ich schlug das Zelt unter den Kiefern auf, so groß war mein Bedürfnis, unter den Bäumen und unter dem Himmel zu sein, und nachts schlief ich im Zelt und tagsüber saß ich da und schrieb in das Eisenbahnheft hinein, das mein Vater mir gegeben hatte, in seiner traurigen Hast, alles wieder so zu machen, wie es gewesen war – alle wieder klein und er der König der Welt. Er hatte sich aus seinem Arbeitsleben bei der Eisenbahn zurückgezogen und arbeitete jetzt als Maschinist im Kalkwerk; jeden Tag kam er in einer Wolke von weißem Staub nach Hause, so als käme er aus einem Schneesturm.
    Meine Zeit im Zelt nahm ein vorzeitiges Ende. War es nicht etwas … eigenartig … dass ich in einem Zelt schlafen wollte … die Leute redeten … Ich vertauschte das Zelt wieder mit meinem alten Zimmer im Haus.
    «Wie schön, dass Janet wieder zu Hause ist», sagten die Leute in meiner Gegenwart. «Wie geht es ihr? Möchte sie einen Butterkeks?»
    Ich wurde Mitglied der neuen Stadtbibliothek und entdeckte William Faulkner und Franz Kafka, und ein paar Bücher, die noch auf meinem Regal standen, entdeckte ich neu. Ich begann Erzählungen und Gedichte zu schreiben und mir eine Zukunft vorzustellen, ohne von der Angst überwältigt zu werden, gepackt und «behandelt» zu werden und nicht entrinnen zu können. Doch selbst heute noch habe ich Alpträume von meiner Zeit im Krankenhaus, und oft wache ich voll Schrecken auf, nachdem ich geträumt habe, dass die Schwestern kommen und mich «zur Behandlung abholen».
    Der Gesundheitszustand meiner Mutter hatte sich unterder Betreuung von Professor Smirk aus Dunedin verbessert. Sie suchte regelmäßig seine Klinik auf und wurde ab und zu kurzzeitig ins Krankenhaus aufgenommen, wo sie in der Gesellschaft derer, die keine Familienmitglieder waren, erneut zu einer «Person» wurde. Obwohl sie kaum sechzig war und noch immer davon träumte, ihren Töchtern einen weißen Fuchspelz zu kaufen, hatte es sie ausgelaugt, für ihren Mann und ihre Kinder zu leben (so sah ich es jedenfalls), als hätte sie kein eigenes Leben, so wie ein Zweig, der von einem großen Baum geschnitten, seiner eigenen Triebe beraubt und neben blühende Pflanzen gesetzt und an sie gebunden wird, die Kraft des jeweiligen Windes nützt und sich nur bewegt, wenn der Wind sich bewegt, während die geschützten Pflanzen leicht erzittern, in einer leisen Ahnung von Sturm. Mein inneres Bild von meiner Mutter verschmolz auf sonderbare Weise mit ihrer Gegenwart – ihre weißen, schütteren Haare, ihr zahnloser Mund, denn man hatte ihr nie ein bequemes Gebiss angepasst, ihre Godfrey’sche Habichtsnase, die mit der Spitze auf ihr Godfrey-Kinn – oder, wie wir immer sagten, ihr «Erzbischof-von-Canterbury»-Kinn – zeigte, ihr verbrauchter Körper in seinem Kostüm aus dem Warenhaus Glasson (zu ihrer Freude kaufte auch Mabel Howard, die erste Ministerin Neuseelands, ihre Kleidung bei Glasson) und ihre bei McDiarmids «auf Pump» gekauften breiten Schuhe, ihr Gesicht, heiter wie immer, und ihre Augen, stets bereit, über politische oder persönliche Vorfälle voll Humor zu funkeln. Sie ging nicht mehr zu den Treffen der Christadelphier, enttäuscht von zu viel Streit unter den Pazifisten, aber sie war immer noch Christadelphierin,
Freundin Christi
. In den Jahren ihres Ehelebens war Christus ihr einziger enger Freund gewesen. Doch sie sprach noch immer von ihren Freundinnen ausder Kindheit und zählte sie der Reihe nach auf: «Hetty Peake, Ruby Blake, Kate Rodley, Lucy Martella, Dorcas Dryden.» Sie erinnerte sich auch an ihre Freunde. Und als Johnny, Dads Freund aus der Zeit in Wyndham, und seine Frau in den Ruhestand traten und nach Oamaru in unsere Nähe zogen, war Mutter in ihrer Schüchternheit nicht imstande, Mrs Walker mit
Bessie
anzureden. Mich ließ das Gefühl nicht los, dass Mutter nie an ihrem wahren «Platz» gelebt hatte, dass ihre wahre Welt ihr Innenleben war.
    Ihre Sehkraft ließ nach. Wenn sie Knöpfe an Hemden und Pyjamas nähte und die ausgefransten Manschetten der «Mannsbilder» ausbesserte, musste sie um Hilfe beim Einfädeln der Nadel

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