Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie
eingelassen zu werden; und wie ihre Form und Kraft am besten durch Stille geschützt wurden. Sobald ich mehr über das Leben eines Schriftstellers wusste, kränkte es mich nicht mehr, dass er mich «Plappermaul» genannt hatte.
«Woran arbeiten Sie im Augenblick?», fragte er mich eines Tages beim Essen.
Ich war erstaunt und dankbar, dass er mich als eine Schriftstellerin akzeptierte, die jeden Tag arbeitete, insbesondere als ich mit dem Roman, den ich zu schreiben beabsichtigte, noch nicht angefangen hatte, und an manchen Vormittagen war ich so ängstlich darauf bedacht, den Eindruck zu arbeiten zu erwecken, dass ich tippte: Der schnelle braune Fuchs springt über den faulen Hund; und: Es ist an der Zeit, dass alle guten Männer der Partei zu Hilfe eilen; und meinen alten Lieblingssatz für unproduktive Augenblicke: «Das ist der Urwald, die Kiefern murmeln, die Tannen sprechen und geben in traurigem Ton Antwort dem Klagen des Waldes.»
«Ach», sagte ich geheimnisvoll. «Ich plane einen Roman, aber im Augenblick schreibe ich andere Sachen.»
Diese «anderen Sachen» waren Gedichte und Erzählungen, von denen ich einige an den
Listener
sandte, doch als eine, eine Erinnerung an Rakaia, zurückgeschickt wurde, zögerte ich, weitere zu senden. Da ich gehört hatte, dass das Unterrichtsministerium Arbeiten für die Schulzeitschriften «gut bezahlte», schrieb ich zwei Erzählungen und veröffentlichte sie dort. Ich hatte eine Kurzgeschichte mit dem Titel «Kohle» geschrieben, über die männlichen Patienten, die, Seite an Seitewie Zugpferde zwischen den Deichseln, den Kohlenkarren von einer Station zur anderen zogen; und darüber, wie nach dem Beschluss, das Transportsystem zu «modernisieren», ein Lastwagen zur Beförderung der Kohle verwendet wurde und die Männer, die bei der Arbeit zwischen den Deichseln ein weiteres jener traurigen Bilder wie aus einem Roman von Dickens geboten hatten, wie man sie überall in den Anstalten vorfindet, nun trübsinnig im Aufenthaltsraum saßen, eingesperrt und ohne Beschäftigung.
Ich schrieb auch eine Erzählung mit dem Titel «Eine Heizdecke», in der ich Möglichkeiten erforschte, Wärme zu spenden.
«Geben Sie mir etwas davon zu lesen?»
Ich war verblüfft. Ich war es nicht gewohnt, anderen meine Arbeiten zu zeigen, außer ich bot sie einer Zeitschrift zur Publikation an. Insgeheim war ich stolz auf meine neueste Erzählung «Eine Heizdecke», und so gab ich sie Mr Sargeson unbedachterweise zu lesen.
Statt Mr Sargesons Beispiel zu folgen und mich auszuruhen und in der Baracke zu lesen, spazierte ich an jenem Nachmittag durch die Straßen von Takapuna. Ich saß am Strand und blickte hinaus auf Rangitoto, die Insel, die alle in Auckland als ihren Besitz ansahen und über deren Form, die aus jedem Blickwinkel vollkommen erschien, sie redeten, als hätten sie dabei geholfen, sie zu entwerfen und zu gestalten. «Schau, da ist Rangitoto», sagten sie. Ich dachte: Das ist also die Insel aus Charles Braschs Gedicht –
Rauheit des Ginsters verdunkelt den gelben Felsgrat,
Bäume mit Scharlachblüten neigen sich vor
Und lassen ihre Schatten auf die Bucht weit unten fallen …
Ich hatte nur wenig Erfahrung mit einer Vielzahl von Menschen; ich kannte sie nur in meinem Herzen; ich fand diesen Eifer der Bewohner von Auckland, Rangitoto für sich zu beanspruchen, liebenswert.
Ich fragte mich, ob Mr Sargeson eben dabei war, meine Erzählung zu lesen. Dachte er gerade: «Ach, das ist gut, ein guter Schluss»? Ich war vorsichtig, was meine Hoffnungen betraf. Als ich die Geschichte gelesen hatte, war sie durch mich hindurchgerauscht bis zu ihrem unwiderruflichen Ende, wie ein richtig gespielter Akkord. Ich wusste aber, dass sie nicht dicht genug geknüpft war; es ließ sich sogar sagen, dass sie in der Mitte durchhing. Ach, hätte ich sie doch mit Bolzen aus Feuer am Himmel anklammern können!
Ich kehrte zum Strandhaus zurück. Er war einkaufen gewesen und bereitete das Essen zu, ein spanisches Gericht, Paella, damals sehr beliebt, da viele seiner Freunde erst kürzlich in Spanien gewesen waren und er gern Gerichte aus dem Mittelmeerraum kochte. Meine Erzählung lag auf der Esstheke neben dem Bund roter Pfefferschoten vom Vorjahr. Ich bemühte mich, nicht ständig hinzusehen. Hatte er sie gelesen? Trotz meiner Vorbehalte war ich mir sicher gewesen, sobald ich das Zimmer betrat, würde er sagen: «Ich habe Ihre Geschichte gelesen. Sie ist gut. Meinen Glückwunsch.»
Mr Sargeson
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