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Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Titel: Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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während sie höflich fragten: «Geht es ihr jetzt besser? Macht sie Fortschritte?»
    Ich traf mit meinen «Sachen» bei Mr Sargeson ein, darunter mein rostfarbener Rock, mein dunkelgrünes Twinset und der dunkelgrüne Mantel, den ich schließlich bei Mademoiselle Modes in Dunedin gekauft hatte. Ich fühlte mich durch die Regeln eingeschränkt, die vom Farbrad und von den Vorlesungen über bildende Kunst an der Pädagogischen Hochschule und von meiner Haarfarbe diktiert wurden und mir dunkle Grün- und Braun- und Gelbtöne aufzwangen. Primärfarben, kräftige, leuchtende Farben seien «schlecht», hatte man mir beigebracht, während die, die ich wählte, angeblich «gut» waren. Zu lange schon gab es zu viele moralische Urteile über Kleidungsstücke, Farben, Formen, wobei die «guten» mit «Geschmack» in Zusammenhang gebracht und mit Vorstellungen von Überlegenheit verbunden wurden.
    Ich war mir damals sicher, dass meine Kleidung «geschmackvoll» war. In meinem Zustand der extremen Willfährigkeit einer Jasagerin, einer Simon-Says-Frau – geh dorthin, komm sofort hierher –, hatte ich mir schließlich und endlich sogar ein Korsett oder Mieder gekauft, weil die Frauen im Grand Hotel und meine Schwester in Auckland mir gesagt hatten, mein Hinterteil zeichne sich unter meinem Rock ab, und damals war es einem Hinterteil nicht gestattet, sich abzuzeichnen. Die einzige Freiheit, die ich besaß, war in meinem Inneren, in meinen Gedanken und in meiner Sprache, die ich zum Großteil sorgfältig verbarg, außer in meinem Schreiben. Für Konversationszwecke behielt ich mir ein harmloses Geplaudervor, das wirklich niemand als «sonderbar» oder «verrückt» bezeichnen konnte.
    Doch sobald ich bei Mr Sargeson eingezogen war, mit der Aussicht, als Schriftstellerin zu leben, mit einem Platz für die Arbeit und für das Alleinsein, ohne Geldsorgen, in der Gesellschaft eines Menschen, der wirklich
glaubte
, dass ich eine Schriftstellerin war, verloren die Probleme mit den Farben, den «guten» Farben und den «schlechten» Farben, die ständigen Ratschläge wegen meiner gekrausten Haare und das Gemecker, dass mein Hinterteil sich unter meinem Rock abzeichne, ihre Bedeutung und schienen weit weg. Ich hatte eine Militärbaracke mit einem Bett, einem eingebauten Schreibtisch mit einer Petroleumlampe, einer Schilfmatte auf dem Fußboden, einem kleinen Schrank mit einem alten Vorhang davor und einem kleinen Fenster am Kopfende des Bettes. Mr Sargeson (ich war noch nicht kühn genug, ihn Frank zu nennen) hatte mir bereits ein ärztliches Gutachten und eine Beihilfe von drei Pfund pro Woche besorgt, was der Höhe seines eigenen Einkommens entsprach. So hatte ich alles, was ich mir wünschte und was ich brauchte – und fragte mich bekümmert, warum es so viele Jahre gedauert hatte, es zu finden.

20
Mr Sargeson und die Militärbaracke
    Mr Sargeson lebte und arbeitete nach einem streng geregelten Tagesablauf, den ich übernahm, obwohl ich meine Gewohnheit, sehr früh aufzustehen und mich sofort anzuziehen, nicht ändern konnte. Die Zimmer im Backsteingebäude von Seacliff waren nicht geheizt gewesen, und am frühen Morgen wurde unser Kleiderbündel, das sich während der Nacht vor der Tür befunden hatte, hereingeworfen, und die Luft und der Fußboden und das rostige Drahtgeflecht des kleinen, hohen, vergitterten Fensters waren eiskalt, und die Lampe in ihrem Metallkäfig an der Decke hatte sich beschlagen.
    Er stand erst um halb acht auf und frühstückte um acht, und es schienen Stunden zu vergehen, bis ich den Mut aufbrachte, um mit meinem Nachttopf und meinem Waschzeug zum Haus hinaufzugehen und zu warten, bis er aufgestanden und angezogen war. Normalerweise nahm ich mir mein Frühstück selbst – ein Hefegetränk, über Nacht vergoren, selbstgemachter Quark mit Honig, und Brot und Honig und Tee. Wenn Mr Sargeson mit mir frühstückte, wobei er mir an der Theke gegenübersaß, war ich meist zum Plaudern aufgelegt. Schon in der ersten Woche meines Aufenthalts machte er mich darauf aufmerksam. «Sie plappern beim Frühstück», sagte er.
    Ich merkte mir, was er gesagt hatte, und unterließ in Zukunft das «Plappern», doch erst als ich regelmäßig jeden Tag schrieb, verstand ich, wie wichtig es für uns beide war, unsereinnere Welt zu gestalten, aufrechtzuerhalten und zu bewahren, wie sie sich jeden Tag beim Aufwachen erneuerte, wie sie selbst während des Schlafes bestehen blieb, so wie ein Tier vor der Tür, das darauf wartet,

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