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Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Titel: Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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viele der Gäste auf meiner Etage Piloten und Fluggäste waren (von den Morgenmaschinen der Pan-American), die bis zum späten Nachmittag im Bett blieben, und es war an einem dieser Nachmittage, während ich mich noch mit ungemachten Betten und unaufgeräumten Zimmern herumschlug, wo ich längst schon hätte fertig sein sollen, als die Etagenleiterin mich entdeckte und drohte, mich zu entlassen, wenn ich nicht schnellerarbeitete. Ich brach in Tränen aus, und noch am selben Abend verließ ich das TransTasman. Ich hatte nur eine Woche durchgehalten. Auckland war eine echte Großstadt, eine harte Stadt, so wie die Städte, von denen ich gelesen hatte. Ich flüchtete mit der Fähre über den Hafen ins vornehme, grüne Northcote, um wieder einmal bei den Gordons zu wohnen.
    Die nächste Woche verbrachte ich damit, meine Schwester und ihren Mann und die drei Kinder kennenzulernen. June sagte mir, Frank Sargeson, der Schriftsteller, habe sie eines Tages aufgesucht, da er gehört hatte, dass ich ihre Schwester sei. Er hatte gesagt, er würde mich gern kennenlernen, falls ich je nach Auckland käme.
    «Willst du ihn besuchen?», fragten sie.
    «O nein. Ich kenne ihn ja gar nicht.»
    «Wir können dich hinbringen. Er wohnt in einem alten Strandhaus in Takapuna.»
    Warum sollte ich Frank Sargeson besuchen? Ich kannte
Für uns selbst gesprochen
, und ich hatte ein paar von seinen Erzählungen in der neuseeländischen und englischen Ausgabe von
Neue Literatur
gelesen. Ich war unschlüssig, ob ich mich mit ihm treffen sollte.
    Eines Nachmittags dann, als sie mir die Sehenswürdigkeiten des North Shore zeigten, sagte Wilson plötzlich: «Frank Sargeson wohnt hier irgendwo. Besuchen wir ihn.»
    Unser Besuch war kurz. Was sollte ich sagen? Ich war befangen, die «komische» Schwester, mit der man eine Ausfahrt macht. Mr Sargeson, ein bärtiger alter Mann in einem abgetragenen grauen Hemd und einer grauen Hose, die mit einer Schnur zugebunden war, lächelte freundlich und fragte mich, wie es mir ginge, und ich sagte nichts. In seinem Garten stehe eine Militärbaracke leer, meinte er. Ich könne gern darin wohnenund arbeiten. Ich nahm das Angebot nicht an, lehnte es aber auch nicht ab. Ich war so überwältigt von meinem «psychischen» Status und vom Anblick des berühmten Schriftstellers, dessen Anthologie neuseeländischer Literatur,
Für uns selbst gesprochen
, ich sehr schätzte; des berühmten Schriftstellers, zu dessen fünfzigstem Geburtstag ich ein Glückwunschschreiben unterzeichnet hatte, obwohl ich ihn nicht kannte und nichts über die anderen Unterzeichnenden wusste. Frank Sargeson. Mr Sargeson.
    Er schlug vor, ich solle ihn doch einmal allein besuchen.
    «Wie wär’s mit kommendem Freitag?»
    «Ja», sagte ich schüchtern.
    Und so machte ich mich am Freitag von Northcote zu Fuß auf den Weg zu Mr Sargesons Haus in Takapuna, auf der großteils unbefestigten Straße, die auf beiden Seiten von Wiesen mit Gestrüpp und Toi-Toi-Gras begrenzt war, vorüber an Mangrovesümpfen – Mangrove! – und einheimischem Buschbestand. Es war im Spätfrühling 1954, und ich war gerade dreißig geworden, ein Anlass für ein Foto und, nach Dichtertradition, für ein Gedicht. Mir fiel Dylan Thomas’ Gedicht «Es war mein dreißigstes Jahr in den Himmel» ein, und ich dachte über seinen Tod nach und versuchte mir meine Jahre zwischen zwanzig und dreißig vorzustellen, als hätte ich in der Welt gelebt. Die Leute redeten über den Streik der Hafenarbeiter, über entflohene Mörder, über McCarthy; ich wusste wenig darüber. Ich kannte nur Prospero, Caliban, König Lear und Rilke in der Übersetzung – sie waren für mich die Ereignisse des vergangenen Jahrzehnts gewesen.
    Ich umging den Busch und gelangte auf die Straße zu Mr Sargesons Haus, nach den Straßen mit Namen englischer Dichter – Tennyson Street –, und war das die Milton Avenue?
    Ich kam zur Esmonde Road Nummer 14, ging durch die Öffnung in der hohen Hecke und um das Haus herum zur Hintertür, wobei ich an der Wäsche vorübereilte, die zwischen dem Zitronenbaum und dem Haus zum Trocknen aufgehängt war. Ich klopfte an die Tür.
    Mr Sargeson war zu Hause. Er öffnete die Tür und sagte mit einem unsicheren Lächeln, so als spreche er mit einem Kind: «Nur herein, nur herein.»
    Ich betrat das Wohnzimmer, während Mr Sargeson hinter die hölzerne Esstheke trat und sich darauf stützte.
    «Hatten Sie einen langen Weg?»
    «Etwa fünf Kilometer.»
    «Möchten Sie sich ein

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