Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie
lieber in Hosen als in Kleidern. Ich, die ich Frank Sargeson jetzt als meinen Retter betrachtete, sah mich mit einem quälenden Gefühl der Schwermut, der schicksalhaften Endgültigkeit, zu der Erkenntnis gezwungen, dass die Götter gesprochen hatten, dass da nichts zu machen war.
Im Austausch gegen diese mangelnde Selbstachtung als Frau gewann ich ein Leben, wie ich es mir gewünscht hatte. Mir wurde auch die Freude zuteil, einen großartigen Schriftsteller und großartigen Mann und seine Freunde kennenzulernen. Immer war ein Freund «auf Durchreise» von Wellington oder der Südinsel oder von Übersee, oder auch nur von der anderen Hafenseite in Auckland: junge Männer mit ihrem Bündel maschinengeschriebener Gedichte, ihrer ersten Ernte; alte Bekannte; geliebte Freunde, männliche und weibliche, junge und alte. Freunde kamen und gingen, man redete und klatschte über sie, ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, wobei die glanzvollen Höhepunkte sorgfältig ausgewählt und in den Ablauf des Gesprächs eingebaut wurden. Es war eine Welt, in der Äußerlichkeiten keine Rolle spielten, in der ich endlich befreit war von den nie endenden Ansichtenüber mein Haar und meine Kleidung und das Hinterteil, das sich unter meinem Rock abzeichnete.
Die Zeit war reif. Ich kaufte ein Schulheft, Schreibpapier (grün, sagte Frank, sei am besten für die Augen), ein Farbband und begann meinen Roman zu schreiben.
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Gerede von Schätzen
Bilder von großen Schätzen inmitten von Trauer und Verlust gingen mir nicht aus dem Kopf, und ich begann mir eine Kindheit auszudenken, ein Leben zu Hause, ein Leben in der Anstalt, wobei ich als Grundlage für die Hauptfiguren Menschen nahm, die ich kannte; die Nebenfiguren erfand ich. Für Daphne wählte ich eine sensible, poetische, zerbrechliche Person, die (so hoffte ich) den inneren Welten Tiefe verleihen und vielleicht eine klarere, zumindest eine individuelle Wahrnehmung der äußeren Welten ermöglichen würde. Die anderen Figuren, in ähnlicher Weise erdacht, wurden eingesetzt, um verschiedene Seiten meiner «Botschaft» darzustellen – die allzu materialistische Lebensauffassung von «Chicks», die Verwirrung Tobys, die erdnahe Veranlagung Francies und die schwer arbeitenden Eltern, Figuren, die meinen Eltern am nächsten kamen. Der Schauplatz war W., eine kleine Stadt, welcher der Verleger dann den Namen Waimaru gab. (Später, nach der Veröffentlichung des Buches, musste ich mit Bestürzung feststellen, dass es als autobiographisch betrachtet und die Figuren für wirkliche Mitglieder meiner Familie und ich selbst für die Figur Daphne gehalten wurde, an der eine Gehirnoperation vorgenommen worden war. Konfrontiert mit einem Arzt, der das Buch gelesen hatte, sah ich mich genötigt, ihm zu beweisen, dass ich keine Lobotomienarben an den Schläfen hatte. Nicht jede aufstrebende Schriftstellerin vermag anderen in einer so erschreckenden, doch überzeugenden Art«Beweise» für die Fiktionalität ihrer Texte zu liefern. Die Figur Daphne war mir in vieler Hinsicht ähnlich, abgesehen von ihrer Zerbrechlichkeit und Fantasieversunkenheit bis an den Punkt der Ausklammerung der «Realität». Im Alltagsleben bin ich immer stark und praktisch, wenn nicht gar gewöhnlich, gewesen.)
Der obige Einbruch der «Zukunft» ist beim Schreiben einer Autobiographie unvermeidlich, besonders wenn man die Kindheit hinter sich gelassen hat und der Kreislauf des Seins, nun getrennt von einem selbst und deutlich sichtbar, Zeit und Raum und das Leben anderer ausfüllt. Der Schreibprozess kann so geradlinig verlaufen wie eine Eisenbahnhauptstrecke, die man vom Damals zum Heute legt, mit Abzweigungen in die abseits gelegene Wildnis, aber die tatsächliche Form, die ursprüngliche Form ist immer ein Kreis, der nur gezogen wird, um durchbrochen und neu gezogen zu werden, immer wieder.
Jeden Tag nach dem Frühstück ging ich in die Baracke, um an meinem Roman zu arbeiten. Ich hatte nicht nach Franks Vorschlag eine Personenliste erstellt, aber ich hatte ein paar Ideen und Themen in mein Heft geschrieben, auch die Überschriften der einzelnen Teile des Buches, das ich als Ganzes vor mir sah, noch bevor ich zu tippen begann. Ich zog Linien in meinem Heft und entwarf einen Zeitplan mit Tag, Datum, Anzahl der Seiten, die ich zu schreiben hoffte, Anzahl der Seiten, die ich schrieb, und einer Rubrik mit der Überschrift
Ausreden
. Jeden Tag trug ich mit Rotstift die Anzahl der geschriebenen Seiten ein.
Ich war mir
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