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Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Titel: Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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mit den Liegestühlen («sie sind am bequemsten») mit ihren hölzernen Armlehnen – das Zimmer, in dem sich bereits alle Figuren aus
Krieg und Frieden, Anna Karenina
und den Erzählungen von Tolstoi und Tschechow befanden, aus den Werken von Proust, Flaubert, Olive Schreiner, Doris Lessing, und das nun die Musik von Mozart und Beethoven aufnimmt, während wir zuhören. Wir spielen die Platte noch einmal. Karl und Frank beginnen über Yeats zu sprechen. Karl liest «Segeln nach Byzanz» und «Die Fahnenflucht der Zirkustiere» vor. Und ich, aufgewachsen mit dem «alten» Yeats, das heißt mit dem «jungen» Yeats von «Hätt’ ich des Himmels bestickte Gewänder» und «Die Seeinsel Innisfree», höre zu, umspült von den Wörtern und der Musik. Ich glaube, dann trage ich das Gedicht vor, das ich auswendig konnte,Dylan Thomas’ «Nach dem Begräbnis», und wir sprechen über die Bedeutung von «der protzige Farn legte Samen auf das schwarze Sims».
    An jenem Abend las ich im Bett, beim Licht der Petroleumlampe, in Franks Exemplar der
Gedichte
von Yeats:
    Mit Fantasien nährten wir
    Das Herz, verroht durch diese Speise;
    Reichhaltiger die Feindschaft als
    Die Liebe; ach, Bienen, kommt und baut
    Im leeren Haus des Stares.
    Ich beendete
Gerede von Schätzen
zwei Tage vor meinem einunddreißigsten Geburtstag, und mit meinem Manuskript, frisch gebunden mit Leinenstreifen, wie Frank es mir gezeigt hatte, und einem Exemplar von William Faulkners
Eine Legende
, das ich für
Parsons Packet
besprechen wollte, fuhr ich für zwei Wochen nach Hause, nach Oamaru und Willowglen.

22
Die Kiefern in der Kühle des Abends
    Die Südinsel setzte dem Erwachen des Frühlings größeren Widerstand entgegen; Reif lag auf dem Gras; es war die Rede von Schnee, und man sorgte sich um die neugeborenen Lämmer im Hochland; die Tageszeitungen brauchten mehr Platz, um den üblichen Winterzoll an geliebten Großeltern zu verzeichnen. In Willowglen trugen die alten flechtenbedeckten Bäume im Obstgarten Knospen, die sich zu Blüten verdickten, der Weißdorn war schon weiß, und die Weidenblatt-Akazie unten beim leerstehenden Hühnerstall stellte ihr Gold zur Schau.
    Siggy mit den vielen Kätzchen begrüßte mich mit einem kleinen Kaninchen, das sogleich unversehrt auf die Nachbarwiese sprang. Ich fand Siggys Matilda, das Kätzchen, an dem Isabel und ich einst unsere neu erworbenen Psychologiekenntnisse erprobt hatten, indem wir ihm einen «Minderwertigkeitskomplex» bescheinigten, tot, steif und von Reif bedeckt unter dem bienenumschwärmten blühenden Johannisbeerstrauch – denn wie immer bei der Ankunft in Willowglen durchforschte ich zunächst das «Draußen», stieg mit Mühe den Abhang an der Rückseite des Hauses hinauf, zwischen Jahren von herabgefallenen, zu Kompost gewordenen Birnbaumblättern und Obst, das an meinen Schuhsohlen kleben blieb, so dass ich den nassen Pfad wieder hinunterrutschte. Ich erkundete den Bach und den Sumpf und die blühenden Narzissen unter den Obstbäumen, und ich spazierte unter denKiefern «unten im Wiesengrund», berührte die saftartigen Perlenkügelchen, die an den Baumstämmen der Kiefern klebten, und sog ihren Duft ein. Die Umstände unseres Umzugs aus der Eden Street 56, die ich immer für unser Zuhause gehalten hatte und aus der wir «hinausgeworfen» worden waren, und die Angst in der Zeit unserer Suche nach einem «Platz» machten Willowglen zu einem wahren Paradies, und da es kein menschliches Wesen war, konnte man es mit Liebe überhäufen, und es war imstande, sie entgegenzunehmen, weiterzubestehen und zu blühen und zu gedeihen.
    Ich wusste, dass ich nur ein Schönwettergast war, dass ich es nicht ertragen konnte, daran erinnert zu werden, dass die Familienjahreszeit der Winter war, egal, wie viele Obstbäume und Blumen draußen blühten. Mutter hatte abgenommen, ihre Gesundheit hatte sich sichtlich verschlechtert, wobei sie zugleich ihren Zustand verleugnete. Wie immer war sie voller Hoffnung, und im Augenblick machte es ihr große Freude, dass sie ein dickes Büschel Schnittlauch im kleinen Kräutergarten, den sie vor dem Schuppen in der fruchtbaren, birnengedüngten Erde angelegt hatte, zum Wachsen gebracht hatte. Obgleich ihr Innenleben voller Freuden und Überraschungen war, die sie aufrechterhielten, äußerte sie so wenige persönliche Wünsche, und diese wurden so selten erfüllt, dass das Schnittlauchbüschel ein Ereignis in ihrem Leben war und sie sich nun sanft und glücklich auf die

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