Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie
eine Freude für Frank, den die allgemeine Nichtbeachtung der Schriftsteller und die Tatsache, dass seine eigenen Bücher vergriffen waren, oft deprimierten. Fairburn war offenbar krank, R.A.K. Mason war verstummt, und wo war A.P. Gaskell? Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht, wenn Schriftsteller ein vielgepriesenes Buch schrieben und danach ihre Stimme nie mehr erhoben. Von wegen
Für uns selbst gesprochen
! Die Botschaft dieses Schweigens war allzu deprimierend. Auch war Frank ein wenig gedrückt wegen der anscheinenden Mühelosigkeit, mit der ich schrieb: Er sollte nicht erfahren, wie oft ich gezwungen war, den schnellen braunen Fuchs über den faulen Hund springen und alle Männer der Partei zu Hilfe eilen zu lassen und angestrengt nachdenkend im «Urwald» zu sitzen, während die Kiefern murmelten und die Tannen sprachen und in traurigem Ton dem Klagen des Waldes Antwort gaben.
Die Freundschaft mit Karl und Kay erfüllte mein Leben und räumte mir endlich einen Platz unter meinen Altersgenossen ein, denn ich hatte das Gefühl, so viele Jahre verlorenzu haben, dass ich mein «wahres Alter» nicht bestimmen konnte. Neben der Jugend von Karl und Kay fühlte ich mich alt, und jung neben Frank. Ich war noch nicht einunddreißig.
Mein Schreiben wurde von Lektüre begleitet: Ich hatte viele Bücher zu lesen.
«Hast du Proust gelesen?», fragte Frank.
«Nein.»
Wenn er aufgeregt oder unruhig war, hatte er die Angewohnheit, seine Arme und Beine zu bewegen, als tanze er. Nun «tanzte» er vor Aufregung, mich mit
Proust
bekanntmachen zu können. Ich hatte keine Ahnung von ihm, sprach sogar den Namen falsch aus, obwohl mir eine Bemerkung von jemandem aus Dunedin einfiel: «Es ist wie eine Szene in Proust.»
Zunächst nur aus Pflichtbewusstsein, doch schließlich von Franks Begeisterung angesteckt, begann ich Proust zu lesen, am Abend im Licht der Petroleumlampe in der Baracke, wobei der Schatten der Flamme über die Seite flackerte. Bestrickt von der Einfachheit des ersten Satzes: «Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen», nahm mich Prousts Welt bald gefangen, und jeden Tag sprachen Frank und ich über die Höhepunkte meiner Lektüre.
«Und natürlich hast du
Krieg und Frieden
gelesen.»
Hatte ich nicht.
«Es wird Zeit, dass ich
Krieg und Frieden
noch einmal lese», sagte Frank, und wieder einmal war ich beeindruckt von der systematischen Art und Weise, wie er sein Leben als Schriftsteller gestaltete (wenn man bedachte, dass er vielleicht der erste professionelle Schriftsteller in Neuseeland war, ein Lehrling von Geistern aus einer fernen Welt). Ein Buchhalter würde sagen: Ich muss diese alten Zahlenkolonnen studieren. EinSchriftsteller liest die Klassiker aufs Neue, fegt so die Banalitäten der Gegenwart beiseite, erneuert seine Inspiration und staunt über die unvergängliche Wahrheit und Schönheit; vielleicht nicht jeder Schriftsteller; aber Frank machte es so.
Da er vor kurzem von Roy Parsons ein Exemplar von
Krieg und Frieden
bekommen hatte, der ihn mit Büchern versorgte, die er sich nicht leisten konnte, oft als Gegengabe für Kritiken in
Parsons Packet
, lieh er mir diese Ausgabe, während er in seiner alten, größer gedruckten las. Frank war sich immer bewusst, dass sein Augenlicht kostbar war, und so wie nach Öl und Sonnenlicht für seine Narbe suchte er nach Substanzen, die «gut für die Augen» waren: Karotten natürlich. Grünes Schreibpapier und grüne Lampenschirme. Er trug auch einen Sonnenschild, so, wie ihn Tennisspieler aufhaben. Auf seinen Vorschlag hin kaufte ich mir auch einen Sonnenschild.
Gemeinsam durchlebten wir die Ereignisse von
Krieg und Frieden
, wobei Frank enthusiastische Freude an den Entdeckungen bekundete, die ich auf jeder Seite machte und über die wir uns unterhielten; wir analysierten die Figuren, ihre Handlungen und Gefühle, und jeden Tag beim Essen fragte er ungeduldig: «Wo bist du gerade?»
Nachdem wir mit
Krieg und Frieden
fertig waren, lasen wir
Anna Karenina, Auferstehung
und die Erzählungen. Tolstoi wohnte in der Esmonde Road 14, Takapuna, Auckland – sowohl im Strandhaus als auch in der baufälligen Baracke. Auch seine Figuren wohnten dort – im Zimmer mit dem Bett in der Ecke mit seiner durchhängenden Matratze und den fadenscheinigen Decken; mit den hohen Bücherregalen, den zusammengerollten und zusammengebundenen vergilbten Manuskripten auf dem obersten Brett; dem offenen Kamin mit den Manukascheiten, die schon für das Feuer am Abend
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