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Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Titel: Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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nächste Phase der Wonne zubewegen konnte, auf ein «Schnittlauchsandwich mit frischem Brot und viel Butter». Konfrontiert mit ihrem drohenden Tod und nun auch mit der für sie ungewöhnlichen Handlung, sich einen persönlichen Wunsch zu erfüllen, suchte mein Vater, mit Angst im Blick, Zuflucht in seinem Spott: «Mum und ihr Schnittlauch, sieh dir das bloß an!» Ich hatteimmer gewusst, dass der «äußere» Dad nicht der «innere» Dad war, und ich empfand Mitleid angesichts seiner Unfähigkeit, Gefühle mit den richtigen Worten zu verbinden und stattdessen in Panik Worte und Handlungen aus einem Weltall außerhalb des Menschlichen an sich zu reißen. Sein fortgesetzter Spott war so sinnlos.
    Mein Vater war seinen Kindern ein guter Lehrer gewesen. Auch ich war verbittert über die Unabwendbarkeit von Mutters Tod. Ich fühlte mich hilflos und hoffnungslos, und ich sprach streng mit ihr, versuchte sie dazu zu bewegen, ihre Pillen zu nehmen, sich auszuruhen, aufzuhören mit ihrem ewigen Feuermachen und Kochen und Versorgen und hinunterzukommen «in den Wiesengrund in der Kühle des Abends beim letzten Sonnenlicht», wie sie es ersehnte. Obwohl ich eine ganz passable Köchin war, die den Kochunterricht in der Mittelschule nicht vergessen hatte, und mich im Kochen übte, seit sich mir die Möglichkeit dazu bot, schwand Mutters Selbstvertrauen, sobald jemand anderer die Mahlzeiten kochte oder die Kuchen buk. (Sie litt noch immer darunter, dass man sie als «schlechte Hausfrau» bezeichnet hatte.) Wenn ich Brot oder kleine Kuchen buk oder eine meiner «Spezialitäten» kochte, buk Mutter sofort «ihr» Brot, «ihre» Kuchen und kochte «ihre» Spezialitäten, und dieser Versuch einer Küchen-Konkurrenz war in seiner Bedeutung so leicht durchschaubar, dass ich ihn rührend und deprimierend zugleich fand und meine eigene Mehl-Melodie zurücknahm.
    Während dieses Aufenthalts las ich Mutter ausgewählte Seiten aus
Gerede von Schätzen
vor, wobei ich selbstverständlich jeden Bezug auf den Tod der Mutter, Amy Withers, wegließ. Ich las nur die «harmlosen, unbeschwerten» Passagen, während Mutter voll Zuversicht sagte: «Es ist wunderbar.» Sie undauch Dad waren mehr an «diesem Mr Sargeson» interessiert, aber sie schienen sich mit meiner Erklärung: «Er ist ein alter Mann, ein berühmter Schriftsteller» zufriedenzugeben. Meine Eltern hatten die Hoffnung aufgegeben, dass ihre Tochter, die jahrelang in einer Nervenklinik gewesen war, je «dem Richtigen begegnen» würde, doch Besucher fragten oft hinterhältig: «Bist du schon dem Richtigen begegnet?» Es schien mir ein altmodischer Ausdruck zu sein.
    Ich verbrachte auch Zeit mit Dad, beim Angeln unten am Pier, und ich war ebenso erstaunt und dankbar wie damals, als ich ein Kind gewesen war und wir gemeinsam Kreuzworträtsel gelöst und Detektivgeschichten gelesen hatten, als er mir nun Geschichten aus seiner Kindheit zu erzählen begann, über Seefahrertypen aus Oamaru. Es war kalt unten am Pier, wo der Meereswind blies. Die grünen, milchig trüben Wellen leckten und saugten an den alten Holzbalken im Hafeninneren, wo Dad darauf wartete, dass die Dorsche anbissen, während ich nach Norden auf das offene Meer blickte, wo das klare steingraue Wasser an die Felsen schlug. Wir fingen Katzenhaie und einen Lengfisch, den wir als Köder für die blauen Dorsche benützten. Eigentlich machte ich mir nichts aus dem Angeln, aber es gab nicht viele Möglichkeiten, mit meinem Vater zusammenzusein. Er fischte schweigend; wir unterhielten uns nur, wenn wir etwas gefangen hatten.
    «Iss niemals roten Dorsch», sagte er, als ich ihm den roten Dorsch an meinem Angelhaken zeigte. «Sie sind voller Würmer. Die blauen Dorsche muss man behalten.»
    Ich hörte gehorsam zu, staunend, als bekäme ich Unterricht von einem großen Lehrer, und da ich mir stets eines Lebens als Schriftstellerin gewärtig war, speicherte ich seine Worte im Hinterkopf, zur späteren Verwendung.
    Und während ich in Willowglen war, las ich, inmitten anderer Tätigkeiten,
Eine Legende
und andere Romane von William Faulkner aus der Bücherei. Es dreht sich, dreht sich, rasend schnell, wo bin ich? So ähnlich war mein Gefühl, als ich die erste Seite von William Faulkner las. Ich las und las, ich las das ganze Buch, und als ich fertig war, drehte ich mich noch immer in einem Strudel aus Worten und Gefühlen, die wie gewaltige Musik auf mich wirkten, bei der selten nach der Bedeutung gefragt wird. Ich bereitete eine

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