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Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Titel: Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Besprechung vor – wie konnte ich eine Besprechung über einen Romanschriftsteller schreiben, der meinen Blick mit Gefühlen trübte? Ich nahm mir das Buch nochmals vor, las es immer wieder und gelangte langsam ins klare Springbrunnenlicht, wo die Charaktere, die Schauplätze, die Bedeutung zum Vorschein kamen, scharf umrissen, kompakt, real, gut. Das war William Faulkners Welt, und ich hatte sie gefunden, für immer.
    Wenige Tage bevor ich mit dem Zug nach Norden fuhr, überredete ich Mutter, mit mir «im Wiesengrund» ein Picknick zu machen, und so bereiteten wir eines späten Nachmittags Schnittlauchbrote zu und füllten eine Thermoskanne mit Tee; und mit einer Decke und Kissen machten wir uns auf den Weg zum «Wiesengrund», gingen langsam den Weg hinunter, an der alten «Geisterkiefer» und an der alten Apfelhütte vorbei, wo die Fächerschwänze durch die Tür mit den kaputten Angeln aus und ein tanzten, vorbei am Kuhstall mit seinem Dach aus Himmel und seiner zerbrochenen Schranke, am verrotteten Schweinestall vorüber, wo Siggy regelmäßig hinging, wenn sie Kätzchen bekam, und am alten Pferdestall, wo Möbel, Bilder, Schachteln mit Fotografien, der Großteil der Überreste aus der Eden Street 56, gelagert waren, unordentlich hingeworfen an jenem hektischen, unordentlichenTag des Umzugs; durch das Tor hinaus aus dem kühlen Schatten des Hügels und schließlich dorthin, wo die jungen Kiefern in der warmen Sonne standen, die nicht wie
unsere
Sonne schien, sondern wie eine andere Sonne an einem anderen Ort. Wir breiteten die Decke auf den Kiefernnadeln aus und lehnten uns an die Bäume, und das klebrige Harz blieb an unseren Kleidern hängen. In der Wärme der Sonne wand ich mich wie eine Eidechse, die sich sonnt. Wir aßen unsere Brote mit Butter und Schnittlauch und tranken den Tee, in den ständig kleine schwarze Fliegen vom Bach fielen. Die Purpurhühner sahen uns durch den Zaun von der Nachbarwiese aus zu.
    Aber Mutter war unruhig. Was, wenn das Telefon läutete? Bestimmt würden wir es hier im Wiesengrund nicht hören? Was, wenn «dein Vater» nach Hause kam und das Essen nicht fertig war? Außerdem hatte sie telefonisch die wöchentliche Bestellung beim Lebensmittelgeschäft, bei Self Help, aufgeben wollen, und vielleicht war es für die Lieferung des Botenjungen schon zu spät. Wir waren nicht mehr Stammkunden bei Star Stores, sondern bei Self Help, seit der Sohn eines unserer Nachbarn aus der Eden Street dort Leiter geworden war. Meine Familie, die schon seit vielen Jahre in Oamaru lebte, hatte sich ein zuverlässiges Netz aus bevorzugten Ladenbesitzern, Postbeamten und Taxifahrern aufgebaut, unter denen viele der «Jungen» waren, mit denen Myrtle und ich gemeinsam vom großen Glück in Hollywood geträumt hatten. Manche von denen, die mit uns geträumt hatten, waren jetzt Gebein in der Sahara, in Kreta oder in Italien.
    Unser Picknick war allzu schnell vorüber. Mutter rappelte sich mühsam auf, außer Atem vor Anstrengung, und gemeinsam gingen wir den steilen Weg zum Haus zurück; und schon war die Sonne im Wiesengrund untergegangen, die Zufahrtlag schon im Dämmerlicht, denn unter den Kiefern wurde es schneller dunkel, und wieder waren wir dort, wo der frostige Hügel sich über das Haus beugte und es umklammerte mit den Krallen eines ewigen Winters.
    Als ich zwei Tage späte den Expresszug nach Norden bestieg, wusste ich, dass ich Mutter nicht wiedersehen würde, und in einem Anfall von Bitterkeit sagte ich: «Ich komme nie mehr zurück nach Willowglen.»
    Meine Worte waren verletzend, und ich wusste es. Ich verabschiedete mich, der Zug fuhr auf dem gewohnten Gleis ab, und in dem Augenblick, als er mit seinem
Kaitangata, Kaitangata, Kaitangata, Winton, Winton, Winton, Kakanui, Kakanui, Kakanui
begann, wusste ich, dass es keinen Sinn hatte, von irgendwo zu fliehen, vor der Familie oder dem Frost oder dem Land, dass eine Flucht ohnehin unmöglich war, weil ich es als Tochter eines Eisenbahners akzeptieren musste, dass ich im Besitz eines jeden Zentimeters aller Bahngleise des Landes war und umgekehrt von ihnen besessen wurde: ein eisernes Band wechselseitiger Eigentümerschaft. Während wir die Canterbury Plains durchquerten, sagte der Zug immer wieder ein neues Wort:
Willowglen, Willowglen, Willowglen
.

23
Ein Tod
    Willowglen war vielleicht das Paradies der Blätter, der Erde, des dunklen Wassers, der dicht mit grellgrün leuchtendem Gras bedeckten Sümpfe, doch Auckland war nach wie vor das

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