Ein Engel fuer Emily
gelacht, als sie zum zweiten Mal gehört hatte, dass Michael Emilys Schutzengel war.
Emily und Irene waren ein eigenartiges Gespann -gegensätzlichere Charaktere konnte es kaum geben. Irene war elegant und schillernd: Ihre Vorstellung von einem primitiven Leben war, Schuhe mit nur fünf Zentimeter hohen Absätzen tragen zu müssen. Emily hingegen besaß nicht ein einziges Paar mit hohen Absätzen.
Aber sie waren gleich in dem Augenblick Freundinnen gewesen, in dem Irene zum ersten Mal die Bibliothek in Greenbriar betreten und sich erkundigt hatte, ob es in der Stadt eine Wohnung zu mieten gebe. Irene hatte kurz zuvor von ihrem Arzt, der als einziger Mensch auf Erden ihr wahres Alter kannte, die schockierende Mitteilung erhalten, dass sie sich auf ernste Folgen gefasst machen müsse, wenn sie weiterhin auf allen Hochzeiten tanzte und sich nicht zumindest hin und wieder ein wenig Erholung von ihrem hektischen, ausschweifenden Lebensstil gönnte. Widerstrebend hatte Irene ein kleines Häuschen im absurd ruhigen Greenbriar gemietet, und mit der Zeit war ihr zu ihrer eigenen Überraschung der Orl richtig ans Herz gewachsen. Sie hatte Emily gleich am ersten Tag kennen gelernt und mit ihr im Restaurant zu Mittag gegessen - seither waren sie befreundet.
Irene fand auch eine Erklärung für ihre gegenseitige Sympathie: »Wir sind keine Konkurrentinnen. Du versuchst nicht, dir meinen Job unter den Nagel zu reißen, und der Himmel weiß, dass ich deinen nicht haben will. Und deinen Freund Donald auch nicht. Du beneidest mich nicht, und ich beneide dich nicht. So einfach ist das.«
Tatsächlich fanden sie gemeinsam für beinahe jedes Problem eine Lösung. Emily erkannte, was Irene bei all ihrem Großstadtleben wirklich brauchte, und Irene hatte immer gute Ratschläge zur Hand, wie Emily sich ein wenig mehr Spannung und Amüsement verschaffen konnte. Nur in einem Punkt gab es Auseinandersetzungen -nämlich, wenn die Sprache auf Donald kam. Irene verabscheute ihn und meinte, er würde Emily nur ausnutzen und sie für seine Zwecke missbrauchen. Mit dieser Meinung hielt sie nicht hinterm Berg.
Michael hingegen hatte Irene auf Anhieb gemocht. »Ein Engel, wie? Ein Mann mit solchen Augen ist meiner Ansicht nach eher teuflisch.«
»Er ist nicht für mich bestimmt«, stellte Emily klar. »Also schraub deine Erwartungen nicht zu hoch. Er geht in Kürze weg von hier.«
»Ich verstehe. Nach San Quentin? Schicken sie Killer heutzutage noch dorthin? Oder werden sie noch einmal versuchen, ihn kaltzustellen?«
Es war offensichtlich, dass Irene annahm, Emily sei wieder einmal die Betrogene. Sie mochte Michael, aber sie glaubte natürlich nicht, dass er ein Engel war.
Jetzt, als Emily in ihrem sagenhaft teuren roten Kleid und mit den rötlich gefärbten, hochgesteckten Haaren in ihrer Wohnung stand, konnte Irene nicht anders - sie bewunderte ihre Freundin. Auch was das Äußere anging, waren die beiden Frauen gegensätzliche Typen. Irene war groß, Emily eher klein. Irene hatte breite, gerade Schultern und eine Figur, die für Kleider aller Art wie geschaffen war. Sie sah immer elegant aus, egal was sie trug. Emily mit ihrem üppigen Formen wirkte hingegen entweder matronenhaft oder ein wenig schlampig - je nachdem, was sie gerade anhatte.
Doch in dem roten Kleid sah sie sehr verführerisch und wohlhabend aus.
»Man könnte meinen, dein Vater hat einen Stall voller Rennpferde, dein Bruder spielt Polo, und deine Mutter ist Vorsitzende etlicher Wohltätigkeitsvereine«, sagte Irene lächelnd.
»Ist es nicht übertrieben?«, fragte Emily noch einmal. »Meinst du nicht, man sieht zu viel von mir?«
»Ganz und gar nicht. Was sagen Sie dazu, Michael?« Irene drehte sich zu ihm um.
Er stand am Fenster und sah in seinem Smoking einfach umwerfend aus, aber Emily vermied jeden Blick auf ihn. Sie musste an ihrem Schwur festhalten, sich einen geeigneten Mann zu suchen, der nicht im wahrsten Sinne des Wortes jeden Moment davonflattern würde.
»Ich finde, es macht sie ein wenig blass«, erwiderte er düster."
»Ihr Männer denkt so was immer«, sagte Irene lächelnd. »Zumindest die, die Besitzansprüche erheben. Glauben Sie, sie wird die Aufmerksamkeit der drei Männer von dem Foto auf sich ziehen?«
»Ich bin überzeugt, die interessieren sich nur für eine Frau von Welt.«
»Dann ganz bestimmt nicht für mich«, warf Emily ein. »Ich komme mir vor wie eine Kleinstadtbibliothekarin in geborgtem Kleid.«
»Aschenputtel muss sich ganz
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