Ein Erzfeind zum Verlieben
bernsteinfarbenes Licht. Das Mädchen wirkte auf einmal leuchtender – anders. Er blinzelte verdutzt. Warum zum Teufel sollte sie anders aussehen?
»Einen Moment noch.« Wieder hielt er sie am Arm fest.
Sie seufzte, ließ sich jedoch herumdrehen. »Was ist los, Kretin, hat ein dritter Gedanke die ersten beiden so schnell vertrieben? Es überrascht mich, dass du in so kurzer Zeit so viele gehabt hast. Wenn du sie vielleicht von jemandem für dich aufschreiben ließest …«
Er hörte nicht mehr zu, sondern sah sie an. Es war unzweifelhaft der Kobold: durchschnittliche Größe und Gestalt, dieselben braunen Haare und braunen Augen, schmale Nase, ovales Gesicht. Sie sah ziemlich unscheinbar aus, wie gewöhnlich, aber irgendetwas stimmte nicht – etwas war anders oder fehlte. Er schien nur nicht recht den Finger darauf legen zu können, was dieses Etwas war.
War es ihre Haut? War sie blasser, brauner, gelber? Wohl kaum, aber er konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen, da er in der Vergangenheit selten auf ihre Haut geachtet hatte.
»Irgendetwas ist anders an dir«, murmelte er und sprach dabei mehr mit sich selbst, doch er sah, dass sie kurz blinzelte, bevor ihre Augen vor Überraschung und Skepsis groß wurden.
Also war tatsächlich etwas anders. Was zum Teufel war es? Ihr Haaransatz war so spitz und die Wangenknochen so hoch wie eh und je. Hatte sie immer schon dieses kleine Muttermal über der Lippe gehabt? Er konnte sich nicht erinnern, bezweifelte jedoch, dass es über Nacht gekommen war. Ihr Teint war freilich ein wenig kräftiger als noch vor einer Minute, aber das war es nicht, was ihn jetzt verwirrte.
»Kobold, es ist mir völlig unerklärlich. Ich bin offenbar nicht in der Lage, …«
Er neigte den Kopf in die andere Richtung und ignorierte ihre erzürnte Miene. Er kam einfach nicht darauf, was sich an dem Mädchen verändert hatte. Es hatte sich etwas verändert, das wusste er, und auch, dass es ihm aus irgendeinem Grund nicht gefiel. Die Veränderung bereitete ihm ein gewisses Unbehagen. Und daher schien es vollkommen natürlich, dass er sich straffte und fragte: »Warst du vielleicht krank?«
2
Mirabelles Ausflug um das Haus herum war weniger ein Spaziergang als vielmehr ein ausgedehnter Wutanfall.
Warst du vielleicht krank?,
also wirklich.
Es wäre klüger gewesen, einfach die Hintertür zu benutzen, aber dann hätte sie an Whit vorbeigehen müssen. Und ein Abgang war erst dann richtig dramatisch, wenn man auf dem Absatz kehrtmachen und in die entgegengesetzte Richtung davonstürmen konnte, und genau das hatte sie getan, nachdem Whit seine überaus törichte Frage gestellt hatte.
Warst du vielleicht krank?
Sie trat gegen einen kleinen Stein und sah zu, wie er durch das Gras kullerte. Vielleicht … möglicherweise … hätte sie ihm gegenüber nicht ganz so eigensinnig sein sollen. Aber sie war den ganzen Tag schon übler Laune gewesen. Seit sie beim Frühstück diesen verwünschten Brief von ihrem Onkel erhalten hatte.
Zweimal im Jahr, in jedem vermaledeiten Jahr, war sie gezwungen, sich zum zwei Meilen weit entfernten Haus ihres Onkels auf eine seiner Jagdgesellschaften zu begeben. Und jedes Jahr sandte er im Vorfeld dieses Ereignisses ein Schreiben, um sie daran zu erinnern. Und in jedem einzelnen Jahr, wie sehr sie auch dagegen ankämpfte, befiel sie daraufhin ein leichtes Grauen, das sie die ganze Woche nicht mehr verließ.
Sie verachtete ihren Onkel, verabscheute seine Gesellschaften und hasste nahezu jeden der zügellosen, ausschweifenden und verkommenen Säufer, die dorthin kamen.
Viel lieber wäre sie hier in Haldon geblieben. Einen Moment lang blieb sie stehen, um das große steinerne Haus zu betrachten. Als sie es zum ersten Mal gesehen hatte, war sie noch ein Kind gewesen. Ein kleines Mädchen, das seine Eltern während einer Grippeepidemie verloren hatte und erst seit einem Monat bei seinem Onkel lebte. Verstört angesichts der Umwälzungen in ihrem Leben und in ihrem neuen Heim unerwünscht, hatte sie in Haldon schon bald sowohl eine Zuflucht als auch ein verzaubertes Schloss gesehen. Es war eine wilde Mischung aus Altem und Neuem. Hier gab es riesige Räume, enge Flure, gewundene Treppen und geheime Korridore, vergoldete Decken in einem Raum, Holzgebälk in einem anderen – ein seltsam liebenswertes Sammelsurium aus Geschmäckern und Lebensstilen der letzten acht Grafen. Man konnte sich in dem Gewirr der Gänge und Räume verlaufen, und gelegentlich geschah das auch. Wenn
Weitere Kostenlose Bücher