Ein Fall für Perry Clifton
angerufen.“
„Sicher hat sie das. Und wenn der Baron ein kluger Mann ist, erstattet er Anzeige gegen mich!“
Dicki schaut Perry erschrocken an. Doch Perry klopft ihm beruhigend auf die Schulter. „Nun erschrick nicht schon wieder. Er kann ja nur Anzeige gegen Unbekannt erstatten, da Kathrin mein Gesicht nicht gesehen hat.“
„Werden Sie mir dann morgen erzählen, was man in der Versicherung gesagt hat?“
„Gemacht. Haarklein werde ich dir berichten. Schließlich sind wir ja Verbündete. — Und jetzt solltest du hinübergehen. Sonst glaubt deine Mutter noch, ich will aus dir einen Nachtschwärmer machen.“
„Bis morgen, Mister Clifton, und recht schönen Dank für die Fahrt!“
„Nichts zu danken, Dicki. Bis morgen...“
Die Sensation von London
Montag früh. Perry Clifton ist ausgesprochen guter Dinge. Er pfeift und singt und trinkt statt der üblichen zwei — sogar vier Tassen Tee zum Frühstück. Eigentlich wollte er sich ja Kaffee leisten, aber der ist ausgegangen.
Um acht Uhr und zehn Minuten verläßt ein Herr mit grauen Hosen, einem blauen Tweedjackett und einem hellen Sommerhut das Haus Starplace Nr. 14. Unter dem Arm trägt er eine Kollegtasche, in der wohlverwahrt, in Seidenpapier eingewickelt, Diamanten im Werte von 70 000 Pfund Sterling liegen.
Perry Clifton, denn um diesen handelt es sich, nimmt die U-Bahn bis Trafalgar-Square, steigt dort in einen Doppelstockomnibus und löst einen Fahrschein bis Mapples-Street.
Die Mapples-Street ist eine sehr breite Straße, an deren Seiten sich nach Pariser Vorbild Boulevard-Cafés und Restaurants niedergelassen haben.
Bunte Metallstühle und Tische laden zum gemütlichen Sitzen im Freien ein, obgleich der Verkehr in der Mapples-Street alles andere als ruhig zu nennen ist.
Perry schlendert an einigen Cafés vorbei. Von hier sind es noch ungefähr zehn Minuten bis zur Silver-General-Versicherung.
Perry sieht auf seine Uhr: 9.13 Uhr. Eigentlich ein wenig früh für Sir Stanford, denkt er und tut etwas, das er sonst eigentlich strikt ablehnt... er setzt sich auf einen dieser bunten Metallstühle eines Straßencafes.
Mit der Geste eines berufslosen Zeitverschwenders ruft er den Kellner heran.
„Was darf es sein, Sir?“
Und Perry bestellt sich mit der Miene eines Mannes, der es gewohnt ist, jeden Morgen auf diese Art zu beginnen, einen Whisky.
„Mit oder ohne Eis, Sir?“ will der Kellner wissen.
„Ein wenig Eis darf dabeisein“, antwortet Perry lässig. Und während der Kellner davoneilt, betrachtet Perry interessiert den vorbeiflutenden Verkehr. Wie schön, denkt er, nicht ins Büro zu müssen. Warum kann er nicht jeden Tag hier sitzen und Zusehen, wie die anderen zur Arbeit hasten?
Aber würde mir das wirklich gefallen? fragt er sich, um gleich darauf den Kopf zu schütteln. Nein, er würde wahrscheinlich vor Langeweile einem Herzinfarkt erliegen. Oder er würde trübsinnig und finge an zu häkeln wie Jimmy Spanner in der Baker-Street.
„Ihr Whisky, Sir“, weckt ihn der Kellner aus seinen tiefgründigen Betrachtungen.
Und während Perry genießerisch an seinem Whisky nippt, beginnt sich einige Straßenzüge weiter etwas anzubahnen, das man als Verhängnis bezeichnen könnte, und von dem London wohl noch lange Zeit sprechen wird. —
Eine Dame mit vielen Päckchen, Tüten und Schachteln steuert zielbewußt auf das einzige Taxi am Lancaster-Square zu. Mißbilligend betrachtet sie den Chauffeur hinter dem Steuer, der eingeschlafen zu sein scheint. Und das am hellen Vormittag, wo jeder ordentliche Mensch den Tag mit frohgemuter Wachheit beginnen soll.
„Sind Sie frei?“ pustet sie dem Chauffeur ins Ohr. Komisch, scheint doch nicht geschlafen zu haben, denkt sie, als der Chauffeur sofort aussteigt und ihr den Schlag öffnet. Sie kann ja nicht wissen, daß der Chauffeur in letzter Zeit öfter so vor sich hin grübelt. Und immer mit geschlossenen Augen.
„Wohin darf ich Sie bringen, Madam?“ Seine Stimme ist weder verschlafen noch unfreundlich.
„Ich möchte zu Cokny & Snyder in der Mapples-Street“, verkündet sie befriedigt.
Mit unbewegter Miene lenkt der Chauffeur sein Fahrzeug durch den Verkehr.
Genau vierzehn Minuten braucht der Wagen bis zur Mapples-Street.
Es ist Perrys großes Pech, daß sein Café unmittelbar vor einer Verkehrsampel liegt. Und noch größeres Pech ist es, daß diese Ampel ausgerechnet in einem Augenblick auf „Stop“ geschaltet wird, als sich unter den bremsenden Autos auch eine Taxe mit einer
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