Ein Fall für Perry Clifton
recht, was sie von der ganzen Sache halten soll. Doch gleich soll sie sich noch mehr wundern.
Bestürzt sieht sie, wie der Mann plötzlich einige taumelnde Schritte macht und dabei schmerzhaft das Gesicht verzieht.
Während er sich die rechte Hand krampfhaft auf den Leib preßt, winkt die linke nach Miß Perkins.
„Haben Sie einen Arzt im Haus, Miß?“ fragt er mit schmerzerfüllter Stimme.
„Ja, Doktor Withester“, antwortet Miß Perkins ängstlich und ratlos. „Was haben Sie denn?“
„Gehen Sie zu ihm... lassen Sie sich Karaminin-Tabletten geben... es wird besser... nur ein kleiner Anfall...“
Miß Perkins beugt sich kurz herunter... „Sofort... warten Sie, ich bin gleich wieder da.“
Der Fremde, der seinen Namen noch nicht genannt hat, wirft ihr einen dankbaren Blick zu. Und das ist der Moment, der Miß Perkins stutzen läßt... zwei, drei Atemzüge lang. Dann stürzt sie zum Zimmer hinaus.
Sie nimmt die Treppe, weil ihr der Paternoster zu langsam geht und der Fahrstuhl wie immer nicht auf der Etage ist. Sie hastet, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, treppab, Doktor Withesters Ordinationsraum befindet sich im Souterrain.
Bei jedem zweiten Schritt hämmern ihre Gedanken die selbe Frage: Warum hat sich der Fremde einen Bart angeklebt. Sie hat es deutlich gesehen, als er sich vorhin kurz ihr zuwandte... Wie mag er ohne Bart aussehen?
Miß Perkins hat den Niedergang zum Souterrain erreicht. Das Herz klopft ihr, und für Augenblicke lehnt sie sich heftig atmend an das Geländer. Der Bart...
Ganz gedankenverloren hebt sie zwei Finger und hält sie waagerecht vor sich hin... im Geist sieht sie ein Gesicht hinter diesen Fingern... und da... ein Ruck geht plötzlich durch ihren Körper. Die Linke umklammert haltsuchend das Geländer... natürlich — das ist der Mann... Das ist der Mann, der vor einigen Tagen Sir Stanford besuchte und dann verschwunden war — fast spurlos verschwunden. Sie hatte geschworen, daß er nicht durch ihr Zimmer gekommen war... und die Sache mit den Bleistiften und Radiergummis... die verschandelte Gipsbüste und der Briefbeschwerer unter Stanfords Sitzkissen. Sie wird jetzt noch bleich, wenn sie an die Szene denkt, die ihr Sir Stanford gemacht hatte. Miß Perkins vergißt den Anfall und die Tabletten. Sie vergißt, daß sie gegangen war, um jemandem Hilfe zu bringen...
Ihre Augen sprühen, und mit geballten Fäusten hetzt sie wieder nach oben. Jetzt braucht sie erst recht keinen Paternoster. Sie wird es ihm geben, und wenn er zehnmal mit dem Direktor befreundet oder bekannt ist. Den Bart wird sie ihm herunterreißen, daß es eine wahre Freude sein wird... Ein Rausch der Rache hat von ihr Besitz ergriffen, und mit zornigem Schwung stürzt sie in ihr Zimmer — es ist leer. Schweratmend fällt sie auf ihren Stuhl...
Perry, um den es sich natürlich bei dem vornehmen Besucher handelte, war mächtig erschrocken, als er hörte, daß der Baron bei Sir Stanford sei.
Seine Gedanken überstürzten sich, und plötzlich war ihm die Idee gekommen, daß es ganz interessant sein könnte zu hören, was der Baron dem Versicherungsdirektor mitzuteilen habe.
Gekonnt spielte er die Rolle des Erkrankten. Dabei war ihm alles andere als wohl zumute. Eine Packung Pralinen wird nicht reichen, dachte er reuevoll, als er Miß Perkins’ besorgtes Gesicht sah.
Doch Sekunden später war er wieder kerngesund und voller Tatendrang. Blitzschnell fuhr seine Hand in die Tasche, und der Zauberwürfel tat seine Schuldigkeit. Nicht die Spitze eines Haares war mehr zu sehen.
Mit einigen Schritten war er an der gepolsterten Tür zu Stanfords Zimmer. Er lächelte versonnen in sich hinein, als er die Tür aufklinkte und ihr einen leichten Schubs gab. Gerade so viel, daß er mühelos hindurchhuschen konnte.
Der dicke Smyrnateppich schluckte jeden Laut.
Perry wich gewandt zur Seite aus, denn der Baron war mit einem leisen Schreckensruf aufgesprungen.
„Die Tür!“ rief er, und Sir Stanford fuhr herum.
„Miß Perkins!“ trompetete er zornig und war mit drei, vier Schritten an der Tür. Als er jedoch Miß Perkins’ Zimmer leer fand, musterte er arglos die Tür.
„Wahrscheinlich war sie nicht richtig eingeklinkt“, vermutete er und drückte die Tür heftig ins Schloß. Dann setzte er sich wieder beruhigt in den Sessel zurück.
Genau in diesem Augenblick kehrte Miß Perkins zurück, wütend und enttäuscht, das Zimmer leer zu finden.
Perry hat inzwischen noch einen Schritt zur Seite gemacht.
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