Ein Fall von Liebe
Er durfte nicht wieder der kleine, hilflose, liebeskranke Junge werden, der er im letzten Sommer gewesen war. Er sah, wie Charlie sich hinters Steuer setzte, und fühlte sich verloren.
Sie fuhren aufs Land hinaus. Keiner von beiden wußte, wo sie waren oder wohin sie fuhren. Es war ein kühler, sonniger Tag der schon den Frühling ahnen ließ. Peter holte tief Atem und merkte, daß er sich wieder gefaßt hatte.
»Das ist noch wirkliches Land«, sagte er. »Sieh doch. Halt an. Bieg’ dort ein.« Es war ein Landweg, der sich von der Hauptstraße zwischen Bäumen entlangschlängelte. Charlie bog in ihn ein, und sie fuhren langsam weiter und gelangten zu einer Holzbrücke, die über einen kleinen Fluß führte. Peter sagte wieder, er solle halten.
»Laß uns hier parken. Ich möchte aussteigen. Ich möchte auf der Brücke sitzen. Sie erinnert mich an Virginia.«
Charlie tat, wie ihm geheißen. Sie setzten sich in der Sonne auf die Brücke und ließen die Beine hinunterbaumeln. Peter stieß entschlossen sein Glücksgefühl von sich. »Hör mal, ich habe nachgedacht«, begann er, gleich zur Sache kommend. »Mir scheint, wir müssen sofort sehen, wie wir mit Hattie in Verbindung kommen können. Du hast wohl keinen Anwalt? Ich habe zwar einen, aber ich kann ihn nicht bitten, das zu übernehmen. Ich glaube, ich werde es irgendwie zustandebringen. Ach, Moment. Spielt sie nicht in einem Stück? Probt ihr nicht beide ein Stück?«
»Ich bis gestern. Ich hatte eine Auseinandersetzung mit dem Regisseur, und er hat mich hinausgeworfen. Das ist ein Teil der ganzen Geschichte.«
»Glaubst du, daß du sie so heftig geschlagen hast, daß sie heute nicht zur Probe wird gehen können?«
»Ach, ich fürchte ja, Kleiner. Das Ganze ist wie ein Alptraum. Die letzte Nacht und alles, was seit dem letzten Herbst geschehen ist – seit – jenem Abend, da ich dich gezwungen habe, die Wohnung zu verlassen. Ich weiß nicht, wie ich das fertig gebracht habe. Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe. Ich bin ein so verdammter Narr gewesen. Ich sage Narr, aber ich meine viel Schlimmeres, ein gemeiner Feigling, ein Egoist, alles, was es nur an Schlechtem gibt. Ich sage das nicht nur, ich weiß es. Nie wieder, Gott helfe mir, nie wieder!«
»Was wirst du tun? Ich meine, doch natürlich alles mit Hattie regeln. Aber was dann? Wirst du weiter bei der Bühne bleiben?«
»Nein, das ist kein Leben für uns.«
Peter umklammerte die Planken unter ihm, seine Nägel bohrten sich in sie hinein. »Uns?«
»Wir müssen wieder zusammenleben, Kleiner. Ich bin nichts ohne dich. Du hast es gesagt, aber ich wollte nicht hören. Ich brauche dich, Kleiner.«
»Aber du verstehst nicht«, brach es aus Peter heraus. »Ich habe einen anderen Freund gefunden, und ich liebe ihn.«
»Du meinst...?«
»Ich weiß nicht, was ich meine.« Die Tränen, gegen die er seit dem Abend zuvor gekämpft hatte, traten ihm wieder in die Augen. Wieder kämpfte er gegen sie, aber diesmal verlor er den Kampf. Sie flössen an seinen Wangen hinunter. Er klammerte sich an die Planken der Brücke, warf den Kopf zurück, öffnete den Mund, befreite sich von der Qual in ihm. Er spürte, wie Charlie seinen Arm um ihn legte, spürte seinen Mund auf seinem Haar. Er zitterte von Kopf bis Fuß. Er beugte den Kopf und keuchte und stöhnte. Als Charlie ihn mit beiden Armen hielt und aufs Haar küßte, ließ sein Widerstand allmählich nach.
»Ich bin eine dumme kleine Schwuchtel«, flüsterte er, als er wieder zu Atem kam. Er mußte lachen. »Was werden die Leute denken?«
»Und wenn es die ganze Welt sieht, mir ist es gleich. Ich liebe dich.«
»Ach Gott, warum konnte dies nicht vor zwei Monaten geschehen? Als wir zusammen in Harlem waren, hätte da nicht etwas geschehen können?«
»Ich weiß es nicht, Kleiner. Ich war überglücklich, wieder mit dir zusammen zu sein, und dann kamen wir dorthin und der Neger küßte dich, und ich sah, wie vertraut du mit all diesen Leuten warst. Ich glaube, da war ich zum erstenmal in meinem Leben eifersüchtig.«
Peter wischte sich das Gesicht mit den Händen und richtete sich auf. Charlie nahm einen Arm von seinen Schultern, aber mit dem anderen hielt er ihn weiter fest. Er blickte in das sich bewegende Wasser hinunter. »Am nächsten Tag habe ich Tim kennengelernt.«
»Heißt er so? Er darf dich nicht behalten, Kleiner. Und wenn er noch so reich und schön ist.«
»Er ist nicht reich.«
»Ich weiß überhaupt nichts, ich weiß nur, wir
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