Ein Fall von Liebe
kein Unterschied. Da wir zu dieser späten Stunde kommen, wirkt es so besser.«
Die Zimmer lagen, nur durch einen Flur getrennt, einander gegenüber. Peter öffnete in Charlies Zimmer die Tasche und nahm die Dinge heraus, die er für ihn mitgenommen hatte.
»O. k.«, sagte er kühl. »Du brauchst jetzt vor allem Schlaf. Alles weitere werden wir morgen früh überlegen. Wie geht es – wie geht es deinem Schwanz?«
»Er tut weh. Ich soll ihn morgen früh neu verbinden.«
»Nun, dann gute Nacht.« Er schloß die Tasche, nahm sie auf und verließ das Zimmer, ohne Charlie auch nur noch eines Blickes zu würdigen.
Als er im Bett lag, entspannte er sich allmählich. So weit, so gut. Siehst du, da liege ich nun hier allein, großer Junge, und denke an dich. Ich weiß, ich verdiene keinen Orden fürs Alleinsein. Es blieb mir kaum eine Wahl. Aber ich wäre auch sowieso allein geblieben. Er dachte an Charlie, der ein paar Meter entfernt schlief, und ein zärtliches Lächeln spielte um seinen Mund, ohne daß er es merkte. Er schlief.
Als er aufwachte, brauchte er einen Augenblick, um sich darüber klar zu werden, wo er war. Aber dann hätte er am liebsten laut aufgejubelt, und er sprang aus dem Bett. Er war mit Charlie zusammen. Es war ein kurzer euphorischer Augenblick, der schon vergangen war, als er ins Badezimmer ging. Hatte er es geträumt? Oder hatte das wenige, das Charlie gesagt hatte, bedeutet, daß er erwartete, daß sie wieder zusammenlebten? Nicht, daß er wirklich gewußt hatte, was er sagte; er war vom Trinken und der Erschöpfung und Angst halb irre gewesen. Peter fragte sich, ob er ernstlich daran denken könnte, Tim zu verlassen. Er fragte sich auch, woher er die Kraft nehmen sollte, Charlie abzuweisen. Er war ziemlich sicher, daß er bald vor großen Entscheidungen stehen würde. Und es war da niemand, der ihm helfen konnte. Er bestellte telefonisch das Frühstück und duschte dann. Nachdem er gefrühstückt und sich angezogen hatte, rief er Charlie an.
»Bist du schon wach? Guten Morgen.«
»Das wünsche ich dir auch, Kleiner. Ich bin gerade aufgewacht. Ach, es ist wunderbar. Ich meine, daß du hier bist. Warum kommst du nicht herüber?«
»Nein, du mußt erst frühstücken und dich anziehen, und ich will einen Blick in die Zeitungen werfen, nur für alle Fälle.«
»Das scheint mir eine gute Idee zu sein.«
»Wie fühlst du dich?«
»Viel besser. Es tut viel weniger weh.«
»Das freut mich. Mir graut vor Hotels. Wir müssen über vieles sprechen. Laß uns irgendwo aufs Land fahren. Es sieht so aus, als ob es ein herrlicher Tag würde.«
»Wunderbar. Laß mir nur eine halbe Stunde Zeit.«
»Gut. Wir treffen uns dann unten. Beeil’ dich.«
Er legte den Hörer langsam auf. Eine weitere Hürde war genommen. Er war sicher, in den Zeitungen konnte noch nichts darüber stehen, wenn überhaupt darüber berichtet würde. Er fuhr im Lift hinunter und holte sie sich. Als er merkte, daß er recht hatte, vertiefte er sich in den Börsenteil. Er war so darin versunken, daß er Charlie darüber ganz vergaß. Etwas lenkte seine Aufmerksamkeit von der Zeitung ab, und er hob den Kopf und sah ihn kommen. Er sprang auf und begrüßte ihn. Ihm wurde fast weich in den Knien. Er hatte nie gewußt, was er ansah, wenn er Charlie ansah: das Gesicht, das ein wenig so war, als blicke man in einen Spiegel; den schlanken Hals, die breiten Schultern, die schmale Taille, die Art, wie er sich bewegte, die langen, knochigen Hände, die Stelle, wo die Beine zusammenliefen. Er nahm das alles auf einmal in sich auf, ehe sich ihre Augen begegneten. Charlies waren nicht mehr so trübe wie gestern abend. Er wirkte frisch und zuversichtlich und war schön. Sie sahen einander lange an. Für Charlie war es wie ein Nachhausekommen, beglückend und tröstlich. Nach den neuen und fremden Kanälen, in die er sein Lebensschiff zu steuern versucht hatte, spürte er, daß er seinen richtigen Kurs wiedergefunden hatte.
»Ach Gott«, flüsterte Peter.
Charlie trat neben ihn, nahm seinen Arm und drückte ihn.
Und sie gingen, obwohl in der Öffentlichkeit, untergefaßt hinaus. Es war ein so herrliches Gefühl, daß es fast mehr war, als er ertragen konnte. Er spürte den Boden unter seinen Füßen nicht, nur die Hand, die auf seinem Arm ruhte.
»Möchtest du fahren?« fragte er, als sie zum Wagen kamen. Aber als Charlie ihn losließ und auf der anderen Seite einstieg, wußte er, das war ein Fehler. Er durfte sich Charlie nicht unterordnen.
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