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Ein Fall zu viel

Ein Fall zu viel

Titel: Ein Fall zu viel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Scharenberg
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her? Sie konnte sich nicht erinnern, jemals alkoholische Getränke in der Praxis gesehen zu haben. Außer vor Weihnachten, da bedankten sich manche Patienten gern einmal mit einer Flasche Sekt.
    »Da bin ich aber froh, dass Sie die Sache so ähnlich sehen wie ich«, sagte sie, während er die Gläser füllte. Aber sie verstand nicht, warum er zunächst alles zu bagatellisieren versucht hatte. Ihr rechtes Augenlid zuckte. Ihr Mund wurde trocken. Dann fasste sie einen Entschluss. »Für mich bitte nicht«, sagte sie laut. »Ich bin mit dem Auto da.«
    »Also, ich muss erst mal ein wenig runterkommen. Wir dürfen jetzt nicht in Hektik verfallen. Genau den Eindruck machen Sie mir jedoch. Nehmen Sie einen kleinen Schluck. Dabei überlegen wir gemeinsam, was zu tun ist. Schauen Sie, ich habe Ihr Glas auch nur halb gefüllt. Eine therapeutische Dosis sozusagen.«
    Im Gegensatz zu ihr war er keineswegs aufgeregt, fand sie. Oder war das nur der äußere Schein? Er wirkte besonnen, obwohl es womöglich um Menschenleben ging. War er immer schon so gefühllos gewesen? Oder war sie einfach überempfindlich? Nun, am besten würde sie einen Schluck nehmen. Er würde wohl doch keine Ruhe geben.
    Ohne eine Zustimmung von ihr abzuwarten, reichte er ihr ein Glas. »Wir haben immer sehr gut zusammengearbeitet«, erklärte er. »Und das soll auch in Zukunft so bleiben. Sie sind doch meine beste Kraft. Wir stoßen darauf an, dass wir gemeinsam eine Lösung finden werden.«
    Während er ihr zuprostete, rauschte es plötzlich in ihren Ohren. Zudem hatte sie das Gefühl, ihr Arm gehorche ihr nicht. Ein Schluck und nicht mehr, dachte sie im Stillen. Widerwillig führte sie schließlich das Glas zum Mund. Dr. Gerstenschneider beobachtete sie. Während der Wein ihre Kehle hinunterperlte, ruhte sein Blick weiter auf ihrem Gesicht.
    »Ich bin froh, dass ich mich immer voll auf Sie verlassen kann.« Er prostete ihr erneut zu.
    Sie zögerte. Zwei ihrer Patienten waren gestorben, einer war durchgedreht, hatte in der Zwischenzeit wer weiß was angestellt, und sie tranken hier Wein. Musste er sich wirklich Mut und Zuversicht antrinken?
    Plötzlich lächelte er, als amüsiere er sich über ihr Zögern. Oder über ihre verworrenen Gedanken? Er hatte Recht. Sie dachte wirklich wirres Zeug. Entschlossen setzte sie das Glas erneut an ihre Lippen und trank diesmal einen etwas größeren Schluck.
    Sein Lächeln wirkte nicht wohlwollend, eher herablassend, vielleicht sogar zynisch. Oder war ihre Wahrnehmung getrübt? Während sie ihre Gedanken zu ordnen versuchte, begann er zu reden. Ununterbrochen. Über die anderen zwölf Patienten, den Grad ihrer Erkrankung, über die erzielten Erfolge, aber auch über ihre Zuverlässigkeit im Umgang mit den Medikamenten. Einen nach dem anderen nahm er sich vor. Aber sie hörte nur mit einem Ohr zu, registrierte lediglich die Namen. Ihr Mund füllte sich mit Speichel. Die Farben des Landschaftsbildes von Monet an der gegenüberliegenden Wand erschienen ihr plötzlich viel lebhafter. Dann verschwamm das Bild, ihr wurde schwindelig. Du musst hier raus, schrie eine Stimme in ihr, aber ihr Körper bewegte sich im Zeitlupentempo, gehorchte ihr nicht mehr. Dennoch gelang es ihr aufzustehen. Sie versuchte sich zu konzentrieren. Was war mit ihr los? Noch einen Meter, dann hätte sie die Tür erreicht.
    Plötzlich legte sich eine Hand auf ihre Schulter und riss sie herum. Verzweifelt blickte sie in Gerstenschneiders eiskalte, mitleidlose Augen. Sie wollte ihn abschütteln und fortrennen, aber ihre Beine versagten. Würde sie fallen? Sie krallte ihre Fingernägel in seine Arme, doch im nächsten Moment umschloss er ihre Handgelenke.
    »Du dumme Gans«, nahm sie wie durch eine Nebelwand wahr. »Meinst du, ich lasse mir meine Existenz zerstören, nur weil du glaubst, dich als Arzt aufspielen zu müssen.« Ein diabolisches Lachen drang aus seiner Kehle. »Wenn die Sache auffliegt, kostet mich das mindestens die Approbation. Die Patienten haben nicht einmal in die Testreihe eingewilligt. Die Pharmafirma aber hat mich fürstlich dafür bezahlt, dass ich ihnen so gute Ergebnisse geliefert habe.«
    Sie wollte etwas erwidern, aber kein Laut drang aus ihrer Kehle.
    »Niemals werde ich zulassen, dass Sie alles zerstören.« Erst recht nicht, seit Gina in mein Leben getreten ist, fügte er in Gedanken hinzu.
    Wie in Trance nahm Sandra Sölle wahr, dass er sie zu der Behandlungsliege zog und sie darauf platzierte. Dann ging er weg. Warum zog er

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