Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
Schule gekommen«, erklärte ich betont ruhig und freundlich. »Dana ist schon vierzehn, Anka wird im Dezember vierzehn, da kann ich doch auch nichts für, dass ich erst dreizehn werde«, schob ich noch nach. Meine Schlacht schien jedoch verloren, bevor ich mein Pulver verschießen konnte.
»Also ich finde das viel zu früh«, konterte Jürgen. »Da wird dann Klammerblues getanzt und womöglich noch Alkohol getrunken, und außerdem habe ich gehört, dass der Tanzlehrer den Mädels unter die Röcke schaut. Aber ich will mich da gar nicht einmischen, Christine. Da habe ich gar nichts zu sagen, denn diese Entscheidung muss die Mami ganz alleine treffen!«
Aus. Vorbei. Meine MAMI würde mit Sicherheit keine Entscheidung treffen, von der sie bereits im Vorfeld wusste, dass Jürgen sie missbilligte, und Jürgen hatte das geschickt eingefädelt, schon mal gleich seinen Senf dazuzutun, bevor MAMI überhaupt den Mund aufmachen konnte. Mir wurde schon wieder schlecht. Das halbe Brötchen kam mir hoch.
»Ich schließe mich dem Jürgen voll und ganz an«, meinte meine Mutter lapidar. »Und es ist mir auch vollkommen egal, WER da alles zur Tanzschule geht, DU jedenfalls nicht. Und komm mir bitte nicht noch einmal mit diesem Quatsch!«
Es war zwecklos. Selbst die Frage nach meiner heutigen Verabredung hatte sich hiermit erledigt. Warum konnte bei mir nicht ein einziges Mal irgendetwas normal ablaufen? Und warum wurde ich das Gefühl nicht los, immer noch vor dem Gasboiler zu liegen und auf meiner schäbigen Eckbank zu sitzen?
Wir verbrachten den gesamten Tag im Panzerübungsgelände: Ulf war leider nicht von der Polizei erwischt worden, Jürgen bei der Probefahrt im schlammigen Gelände leider nicht vom Moped gestürzt, und meine Mutter war auch leider nicht in einem dieser riesigen Schlammlöcher versunken. Bobby sah aus wie ein Erdklumpen und bedurfte einer dringenden Dusche. Mir war elendig kalt, ich war von der Warterei (»Ihr müsst euch natürlich abwechseln mit dem Fahren.«) völlig durchgefroren, und ich wollte nur noch nach Hause. Vorher musste diese tolle Yamaha TY 50 noch dampfgestrahlt und geölt werden, die Klamotten waren völlig versifft, und ich dachte an meine Freundinnen, die vermutlich jetzt das Tanzbein schwangen. Jürgen war mittlerweile stinksauer auf mich, weil ich nicht mit ihm um die Wette strahlte, und beschimpfte mich als »Weichei« und »Mimöschen«. Außerdem, so hatte er im Gelände gewettert, sei ich höchst undankbar, und er wäre doch so großzügig gewesen, wir hätten doch alle bekommen, was wir wollten (ach ja?), und meine Laune, ja meine Laune, sei nun der Dank dafür!
Ich vergrub mich in meine Gedanken und stellte innerlich fest, dass alles genauso lief wie immer: Ob diese Schlammschlacht im Panzerübungsgelände bei nieseligen drei Grad Celsius MEINEN Vorstellungen von »Spaßhaben« entsprach, war doch nie gefragt worden. Ich fand es eigentlich ganz spannend, auf diesem Trial-Gerät mit größter Geschicklichkeit durch das zerklüftete Gelände zu düsen, aber doch nicht bei diesem Sauwetter. Insbesondere nervte mich, dass ich genau diese Wochenendbeschäftigung gefälligst supertoll zu finden hatte und mir gar keine andere Wahl blieb. Im Sommer hätte ich mich vielleicht gern den Jungs angeschlossen, aber verdammt noch mal, ich war kein Junge. Ich war ein Mädchen. Ich hatte Freundinnen, und ich hatte eigene Interessen, um die sich niemand scherte. Ich sollte dankbar sein, weil Jürgen mich für hunderte von Mark in diese Motorradkluft gesteckt hatte und dabei den grässlich Spendablen heraushängen ließ. Die Szene, als Oma im Frühjahr weinend vor mir saß und wirklich verzweifelt war, weil sie gern den Reitunterricht finanziert hätte, aber vor ihren bescheidenen Möglichkeiten kapitulieren musste, lief immer wieder wie ein Film vor mir ab. Ich fragte mich, wie gelangweilt und schlecht gelaunt Ulf, Martin, Jürgen und meine Mutter gewesen wären, wenn ich sie einen ganzen Tag lang gezwungen hätte, im Reitstall Körber bei drei Grad und Nieselregen herumzustehen ...?
Ich befürchtete, dass diese Art der Wochenendbelustigung nun jedes Wochenende auf mich zukommen würde. Und tatsächlich! Wieder einmal verfügte ich über seherische Fähigkeiten, denn die kommenden drei Jahre waren wir wirklich jeden Samstag und jeden Sonntag im Panzerübungsgelände. Ulf und Martin brachten abwechselnd ihre Freunde mit (was die Wartezeit natürlich verlängerte), und als ich meine Freundinnen
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