Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
zutiefst. Morgens saß sie am Frühstückstisch, hatte eine grottenschlechte Laune und beklagte sich dann darüber, dass sie wieder zu diesen »kleinen Arschlöchern« müsse. Ihr Gesicht war dabei von Widerwillen und Abscheu gezeichnet, und es war nichts, aber auch wirklich gar nichts Liebenswertes in ihrer Mimik zu erkennen.
Das Wetter war immer noch eine Katastrophe, und Ulf und Martin fand ich zwar nett, aber auch nicht derartig unterhaltsam, dass ich mir mit ihnen achtundvierzig Stunden geistreiche Gemeinsamkeit in der Wohnung vorstellen konnte. Die Mädels wollten am Sonntagnachmittag zur Tanzschule gehen, denn dort fand eine Schnupperstunde statt, und wir wollten als geschlossene Truppe zusammen den Tanzkurs belegen. Schon jetzt machte ich mir Gedanken, wie ich meiner Mutter beibringen sollte, dass ich zum einen den Kursus machen wollte, und zum anderen, wie unvorstellbar teuer das Ganze werden würde. Wenn sie schon nichts zur Reitkarte bei Herrn Körber hinzugesteuert hatte, dann sah ich nun für mein neues Anliegen schwarz; und Oma konnte ich auf gar keinen Fall fragen, denn ihr finanzieller Rahmen war schon durch den Reitunterricht gesprengt worden. Wenn es wirklich am Geld scheitern sollte, dann müsste ich Oma fragen, ob ich einmalig etwas von meinem Sparbuch abheben dürfte. Bestimmt würde sie nicht nein sagen ...
Die letzten zwei Tage bis zum Wochenende waren gefüllt mit den täglichen Erledigungen und Bobby. Ein einziges Mal hatte ich mich für eine knappe Stunde mit dem Hund davonmachen können und mich mit Dana und Anka getroffen. Beim Schwimmen hatte ich die ganze Woche durch Abwesenheit geglänzt, und in der Schule waren in dieser einen Woche bereits drei Fehlstunden vermerkt worden. Ich freute mich auf Sonntagnachmittag und ein paar unbeschwerte Stunden mit meinen Freundinnen.
Am Samstagmorgen fuhr Jürgen los und holte Ulf und Martin bei Margot ab. Ich radelte unterdessen mal wieder zum Supermarkt, um Großpackungen von Brötchen, Würstchen, Chips und Limonade zu besorgen. Meine Mutter veranstaltete denselben Affentanz wie vor einer Woche, als Jürgen eingezogen war. Mach dies, mach das, erledige dieses noch und jenes noch, sorge hierfür und sorge dafür ... ich war es so unendlich leid und fühlte mich wie Kunta Kinte aus Roots .
Ulf freute sich sichtlich, mich wiederzusehen, und begrüßte mich herzlich. Martin schaute mich nur beleidigt an, und ich begriff sofort, was mit ihm los war.
»Jetzt sei doch nicht traurig, Martin«, sagte ich zu ihm. »Sei doch froh, dass Bobby hier ist, bei der Züchterin hättest du ihn nie wieder gesehen, und wenn du mit ihm spielen willst, kannst du das gern tun.«
Martins Miene hellte sich auf.
»Kommt mal alle mit zur Garage!«, rief Jürgen plötzlich. »Ich habe eine Riesenüberraschung für euch!« Als er das Garagentor öffnete, sahen wir ein Motorrad.
»Boah!«, rief Ulf entzückt, »ʼne Yamaha Cross Maschine! Irre!«
Ich verstand nur Bahnhof. Ulf war im Sommer dreizehn geworden, ich würde in zwei Wochen meinen dreizehnten Geburtstag haben, und Martin würde im Winter neun Jahre alt werden. Was zum Teufel sollten wir mit einem Motorrad anfangen? Jürgen strahlte über das ganze Gesicht und war von seiner eigenen Überraschung völlig hingerissen.
»Na? Ist das was?«, fragte er uns euphorisch und fuhr sogleich fort: »Das ist eine Trial-Maschine, fünfzig Kubikzentimeter, Yamaha TY 50, ein tolles Teil und ihr, jaja, ganz richtig, IHR dürft damit fahren. Morgen nach dem Frühstück gehtʼs ab ins Panzerübungsgelände. Ist das was?«
Die Jungs waren tatsächlich außer sich vor Freude und wären am liebsten sofort losgefahren.
»Wie kriegen wir die Karre denn überhaupt ins Panzerübungsgelände?«, fragte Ulf fachmännisch.
»Du bist der Größte von euch dreien, und wenn du einen Helm aufhast und in Motorradklamotten steckst, fällt das doch gar nicht auf«, antwortete Jürgen.
Ich staunte, und Ulf schien immer noch nichts begriffen zu haben.
»Mensch, Ulf! Wenn du einfach ganz normal fährst und die Verkehrsregeln beachtest, kann doch gar nichts passieren. Du fährst einfach hinter unserem Auto her und benimmst dich schön unauffällig, kapiert«, erklärte Jürgen.
» Ich soll fahren?«, fragte Ulf und riss entsetzt die Augen auf.
»Aber das ist doch verboten«, platzte es aus mir raus.
Jürgen grinste uns an und zwinkerte uns zu. »Natürlich ist es verboten, aber es erfährt doch keiner. Sollte Ulf von der Polizei angehalten
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