Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
ausgeschmückten Erzählungen meiner Freundinnen versöhnten mich etwas. Niemals gaben sie mir das Gefühl, nicht dazuzugehören, und sie tuschelten und lachten mit mir, als wäre ich bei all diesen Anekdötchen dabei gewesen.
Mit den Jungs in der Tanzschule war es meistens so, dass ich bestimmte von ihnen ganz toll fand und genau diese mich keines Blickes würdigten. Einer von ihnen war Hajo van Basten. Hajo war schon fünfzehn und knapp ein Meter neunzig groß. Er hatte dunkle glatte Haare und trug eine Nickelbrille, mit der er aussah wie ein Oxford-Student. Hajo kam aus so genanntem »guten Hause« und wohnte in einer feudalen Villa aus der Gründerzeit in einem der besten Viertel meiner Heimatstadt. Wenn Hajo lachte, dann schmolz ich dahin. Er hatte ein so ungemein charmantes und offenes Lachen. Auf einem meiner Jugendfotos gibt es ein Bild vom Mittelball, wo Hajo mir die Ehre erwies, einen Jive mit mir zu tanzen. Einige Jahre lang dachte ich wirklich, mit Hajo van Basten sei die große Chance meines Lebens an mir vorbeigegangen. Im April 1984, direkt nach unserem Abi, hatte ich jedoch ein einprägsames Erlebnis, und ich war danach heilfroh, dass ich in Hajo van Bastens Leben keine Rolle gespielt hatte. Dana und ich waren auf einer Party im Hause von Hajos Eltern eingeladen, und über das Datum der Einladung, den neunzehnten April, hatten wir uns nun wahrlich keine Gedanken gemacht. Punkt Mitternacht schlossen sich die elektrischen Rollladen wie von Geisterhand, das Licht wurde gedämpft, und von der Decke glitt eine riesige Hakenkreuzfahne herunter. Die Partygäste stellten sich stramm vor dieser Fahne auf, streckten die Arme zum Hitlergruß aus und sangen gemeinsam die deutsche Nationalhymne in ihrer alten Textversion. Dana und ich starrten uns nur noch entsetzt an, nickten uns kurz zu und verschwanden unauffällig aus diesem hochherrschaftlichen Haus. Das also war Hajo van Basten ...
Mit dem Jungen, den ich zu guter Letzt für den Abschlussball abbekommen hatte, konnte ich wahrhaftig kaum angeben. Ich fand Heinrich supernett und superlieb, aber er hatte quietschrote Haare und noch dazu eine Wangenröte, als würde er täglich literweise Rotbäckchensaft inhalieren. Seine Ähnlichkeit mit Pumuckl war frappierend. Als er am Abend des Abschlussballs in einem richtig schicken Anzug mit einem Blumenstrauß und mächtig verlegen bei uns an der Haustür stand, brach meine Mutter in schallendes Gelächter aus und erzählte noch Jahre später von diesem »schreiend komischen Kerl«.
Heinrich muss schon damals sehr viel Stil und Zurückhaltung gehabt haben: Jeder andere Junge hätte mich in meinem Abschlussballfummel vermutlich glatt im Hausflur stehen gelassen. Weil meine Mutter kein Geld für ein angemessenes Kleid ausgeben wollte, kramte und wühlte sie auf dem Dachboden meiner Großmutter herum und fand ein uraltes Kleid mit Puffärmeln aus dunkelblauem Taft. Dieses Kleid nähte sie dann in der Taille enger, kaufte eine breite Rolle hellrosafarbenes Geschenkband, wickelte dieses Band oberhalb meiner Hüfte zusammen und beendete ihr Werk mit einer propellerartigen Schleife auf meinem Bauch. Ich fühlte mich entsetzlich billig, und dieses Kleid passte weder zu mir noch zu der Mode, die Ende der Siebziger in war. Jahrzehnte später entdeckte ich genau dieses Kleid auf dem Hochzeitsbild meiner Großmutter aus dem Jahre 1944 wieder: Es war das Kleid ihrer Zwillingsschwester und Trauzeugin, die sich noch im Jahr der Eheschließung meiner Großeltern mit Rattengift das Leben genommen hatte und über Wochen hinweg jämmerlich zugrunde ging. Oma hatte es nicht übers Herz gebracht, das Kleid ihrer Schwester wegzuwerfen, und es daher in einem alten Schrank auf dem Dachboden verstaut. Als sie damals erfuhr, in welchem Aufzug ich meinen Abschlussball hatte verbringen müssen, sagte sie kein einziges Wort dazu. Ich vermute, dass sie der Perversität meiner Mutter nicht viel entgegenzusetzen hatte, und was geschehen war, war geschehen. Taktvoll wie sie war, hat sie mich im Alter von dreizehn Jahren zum Glück nicht über die Geschichte meines Abschlussballkleides aufgeklärt.
Es war nicht so, dass meine Mutter und ich in ärmlichen Verhältnissen lebten. Als Grundschullehrerin verdiente sie damals mit ihren einunddreißig Jahren sicherlich nicht schlecht. Selbstverständlich war der Kauf der Eigentumswohnung und die Abfindung meines Vaters anlässlich der Scheidung ein harter finanzieller Brocken für sie.
Eines Abends
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