Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
fragte, ob sie mich nicht wenigstens mir zum Gefallen begleiten würden, erntete ich nur verständnislose Blicke. Im Sommer waren die Mädels im Freibad, im Reitstall und im Eiscafé, im Winter trafen sie sich zu Hause, probierten neue Teesorten aus, strickten Pullover, quatschten, hörten Musik, gingen eislaufen oder ins Kino. Ich verbrachte meine Wochenenden von meinem dreizehnten bis zu meinem sechzehnten Lebensjahr im Panzerübungsgelände. Als Ulf und Martin ihrem Vater irgendwann mitteilten, dass er das Motorrad nun endlich verkaufen könnte, weil sie nun wirklich keine Lust mehr auf das Herumgurken im Schlamm hätten und außerdem mit Freunden anderweitig verabredet seien, fand Jürgen das vollkommen normal und hatte allergrößtes Verständnis für die »sich verändernden Interessen« seiner Söhne.
Die Sache mit der Tanzschule ließ mir keine Ruhe. Ich heulte mich montags bei Oma aus, und als ich das Sparbuch erwähnte und die Möglichkeit, den Tanzkurs ausnahmsweise von diesem Geld zu bezahlen, schloss sich Oma meinen Tränenausbrüchen an. Ich erfuhr, dass meine Mutter das Sparbuch vor einigen Monaten an sich genommen und die knapp eintausendfünfhundert Mark komplett abgehoben hatte. Jahrelang hatte Oma jeden Monat zehn Mark für mich zur Sparkasse gebracht, und nun war das ganze Geld futsch. »Deine Mutter wollte das Geld wieder aufs Sparbuch tun«, jammerte Oma, »aber ich habe sie bereits darauf angesprochen und traue mich gar nicht mehr, sie noch einmal zu fragen, weil sie sofort laut und ausfallend wird. Es tut mir so leid, Christine!«
Als ich am Nachmittag eine Hose von Jürgen zur Reinigung brachte, radelte ich bei Dana vorbei. Ich zerfloss vor Tränen und klagte ihr mein Leid. Danas Mutter schaltete sich auf einmal ein. Es tat mir gut, dass eine erwachsene Frau ihren Unmut über meine Mutter offen zeigte. Danas Mutter regte sich auf und meinte, es sei doch ganz normal, dass ALLE Mädchen gemeinsam zur Tanzschule gingen, über so etwas müsste doch wohl nicht lange diskutiert werden, dieser Jürgen habe doch offensichtlich genug Geld, wozu also das ganze Theater sei, und das mit dem Sparbuch wäre ja wohl das Letzte, eher würde sie als Mutter putzen gehen!
Ich bin den Müttern meiner Freundinnen bis heute dankbar, dass sie mir durch ihr Verhalten und ihre klaren Meinungsäußerungen den Rücken gestärkt und mir immer wieder die Augen geöffnet haben für die Normalität im Leben. Dadurch, dass ich sah, wie und was in anderen Haushalten ablief, konnte ich stets Parallelen ziehen und lernte so, das Normale vom Unnormalen zu unterscheiden. Diese Frauen hatten zwar allesamt keinen Einfluss auf meine Mutter, aber darum ging es auch gar nicht. Sie waren ehrlich und bezogen eine klare Position. So etwas kann auch Kinderseelen retten.
Zwei Tage später, ich war gerade dabei, auf Befehl meiner Mutter hin die Türrahmen abzuwaschen, klingelte es unerwartet an unserer Haustür. Ich traute meinen Augen nicht, als Oma mit versteinerter Miene zur Tür hereinspazierte, und selbst meiner Mutter fiel die Kinnlade herunter. In all den Jahren war Oma nur zwei Mal bei uns zu Hause gewesen: Einmal, als ich mir das Nasenbein gebrochen hatte, und das zweite Mal an diesem Tag. Oma bat mich, in mein Kinderzimmer zu gehen und die Tür zu schließen. Bis ins Kinderzimmer hörte ich meine Großmutter schreien! Niemals zuvor war sie so laut geworden. Sie war außer sich vor Wut und Entrüstung und ließ ihre Tochter strammstehen. Ich hockte in meinem Zimmer, lauschte gebannt, und die pure Schadenfreude kroch in mir hoch. Omas Ansage musste gewirkt haben, denn von meiner Mutter hörte ich kein Wort der Gegenwehr. Als Oma eine Viertelstunde später ging, tätschelte sie mir die Wange und flüsterte mir ins Ohr: »Mach dir keine Sorgen! DU gehst mit Sicherheit mit deinen Freundinnen in die Tanzschule!«
Und tatsächlich: Ohne ein Wort der Klage drückte mir meine Mutter einige Tage später das Geld für den Tanzkurs in die Hand. Ihre versteinerte Miene ignorierte ich gelassen.
Jürgen versuchte mich zwar immer wieder auszuquetschen, welchen Jungen ich denn gut finden würde oder mit welchem »Knäblein« ich denn dieses Mal getanzt hätte, aber letztlich ging er mir mit seinem scheinheiligen Gefrage eher auf die Nerven, als dass ich mir die Freude am Tanzkurs hätte nehmen lassen. Ich ärgerte mich nach wie vor darüber, dass ich an den Wochenenden nicht mit den Mädchen zum Tanztee gehen konnte, aber die bis ins Detail
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