Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
werden, dann fahren wir im Auto einfach weiter, so als ob wir nicht dazugehören würden. Ulf muss dann nur sagen, dass ich nichts davon wusste, sonst bin ich dran, tja ... und schon sind wir aus dem Schneider. Aber Ulf wird nicht erwischt, das verspreche ich euch. Das wird eine ganz aufregende Sache, und es bleibt unser großes Geheimnis. Versprecht mir alle, dass ihr niemals unser Geheimnis preisgebt, ja?« Theatralisch hob Jürgen die linke Hand hoch, legte seine rechte Hand aufs Herz, und so standen wir auf dem Garagenhof und schworen feierlich das große Indianerehrenwort.
»So! Jetzt gehtʼs aber erst mal los zu Hein Gerricke. Da werde ich euch alle einkleiden, damit ihr ausseht wie richtige Crossfahrer! Gundis, du kommst auch mit.«
Im Geschäft zeigte sich Jürgen von seiner spendabelsten Seite. »Nein, nein, aus Leder sollten die Stiefel schon sein ... ruhig mit Schienbeinschutz, na klar ... haben Sie nicht diese mit Wachs beschichteten Jacken ... die dahinten, mit dem breiten Koppelgürtel, die sieht klasse aus ... der Helm ist zu langweilig, der muss rasant aussehen ... so ein breiter Kinnschutz ... das sieht gut aus ... nimm die Hose mit den Rallyestreifen an der Seite ...
schau mal, Gundis, diese Lederjacke mit den Fransen ... scharfes Teilchen ... klar kannst du die anziehen ... Nierengurt ... sicher mit Lammfell ... muss doch warm sein ... «
Bis Ladenschluss hatte Jürgen uns drei Kinder komplett eingekleidet. Wir alle hatten Motocrosshosen, Motocrossstiefel, Wachsjacken, Nierengurte, Handschuhe und Helme, und für meine Mutter hatte er tatsächlich die schwarze Fransenlederjacke gekauft. Jürgen bezahlte ein Vermögen in bar an der Kasse, und der Verkäufer ging vor Ehrfurcht fast in die Knie. Ulf und Martin hatten einen Teil ihrer Ausrüstung gleich angelassen. Ich trug meine Sachen in drei Tüten gepackt in der Hand, der Helm baumelte lässig am Arm.
Eine Reitausrüstung wäre billiger gewesen, und lieber hätte ich drei Zehnerkarten für die Reitschule Körber bekommen. Ich dachte an den ausstehenden Tanzkurs ...
Wieder zu Hause erklärte uns Jürgen stundenlang die technischen Details: »... keine Crossmaschine ... hat oben Schutzblech ... Schutzblech unten ... Trial ... nicht mit Füßen den Boden berühren ... Bremszug ... erster Gang runter ... andere Gänge hoch ... Vergaser ... Benzinhebel ... «
Ulf hing gebannt an den Lippen seines Vaters, und Martin und ich kämpften mit der Müdigkeit. Als Jürgen mit Martin zur Pommesbude fuhr, war es bereits Abend. Meine Mutter scheuchte mich von links nach rechts, weil Bettenlager aufgebaut werden mussten, Handtücher bereitgelegt wurden, Chips und Flips in Glasschüsseln geschüttet werden sollten, der Tisch noch nicht fertig war und und und ... Ulf spielte derweil mit Bobby, und meine Mutter gesellte sich freundschaftlich zu ihm.
»Toll ist es hier«, sagte Ulf.
Als wir alle Die Kanonen von Navarrone guckten, schlief ich fast ein. Ich schlich mich mit Bobby in mein Bett und freute mich auf meine Verabredung mit Dana, Anka, Carla und Gitta.
Wenn schon nicht heute, dann würde ich wenigstens morgen meinen Spaß haben.
Alle waren bester Laune am Sonntagmorgen. Jürgen alberte mit meiner Mutter und seinen Söhnen herum, und ich deckte den Frühstückstisch.
»Lass die Brötchen nicht zu lange im Ofen!«, rief Jürgen zur Küche herüber. »Ulf! Martin! Wie wärʼs mit einem Frühstücksei? Christine! Machst du uns bitte drei Eier? Lass die Eier für Ulf und Martin aber etwas länger drin, ja? Du bist ein Schatz! Danke!«
Da war es wieder: das Kunta-Kinte-Gefühl. Es klebte an mir wie eine Schmeißfliege. Ich hielt den Moment, als wir alle am Tisch saßen, für geeignet, das Thema Tanzkurs anzuschneiden.
»Mama«, begann ich kauend, »Dana und Anka (Gitta ließ ich besser weg) wollen einen Tanzkurs machen, und aus unserer Klasse gehen ganz viele da hin. Heute Nachmittag ist Schnupperstunde. Ich wollte da auch gern hin und mal schauen, was so ein Tanzkursus kostet. Ich würde mir den gern zum Geburtstag wünschen.«
Entsetzte Blicke von Jürgen und meiner Mutter trafen mich.
»Taaaanzschuuuule?«, fragte Jürgen völlig entgeistert. »Du bist zwölf Jahre alt und willst zur Taaaanzschuuule? Das macht man doch erst mit fünfzehn oder sechzehn, aber doch nicht mit zwöööölf!«
»Mit vierzehn machen alle den Tanzkurs, und ich werde übernächste Woche dreizehn. Die sind doch alle ein Jahr älter als ich. Ich bin doch mit fünf in die
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