Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
für Werner auf über vier Seiten in meinem Tagebuch nieder. Erst dann konnte ich einschlafen, und meine Gedanken waren bei »meinem« Werner.
Als ich am nächsten Morgen zur Schule ging und die Hauswand unterhalb des Balkons sah, durchfuhr mich ein Riesenschreck! An alles hatte ich gedacht, nicht aber daran, dass der nächtliche Bodentau meine Schuhe verdreckt hatte und drei deutlich zu erkennende Fußabdruckspuren an der blütenweißen Hauswand zu sehen waren. Das war mein Todesurteil. Ich war mir sicher, dass Oma mich nicht verraten würde, aber das Haus meiner Großeltern lag direkt in der »Einflugschneise« von der Schule meiner Mutter zu unserer Wohnung! Meine Mutter, davon war ich felsenfest überzeugt, würde eins und eins sofort zusammenzählen, und dann gäbe es ein Riesentheater bei uns zu Hause. Und natürlich. Es kam, wie es kommen musste. Zwar war meine Mutter mittags nicht diese Strecke gefahren, wohl aber am frühen Abend, als sie mit Bobby auf dem Weg zu einer Freundin war, mit der sie neuerdings abends immer spazieren ging. Mitten in dem sich wieder einmal eskalierenden Streit rief Jürgen plötzlich an und hörte, dass zwischen meiner Mutter und mir das Kriegsbeil ausgegraben worden war. Ich bekam mit, dass er unverzüglich zur Wohnung kommen wollte, und meine Mutter stand mit hasserfüllten Augen und außer sich vor Wut vor mir. Ich blutete heftig aus der Nase und bemühte mich, mit unzähligen Taschentüchern den Teppichboden mit meinen Blutspuren zu verschonen, weil mir nun gar nicht nach Putzen zumute war.
Endlich! Die Haustür öffnete sich, und Jürgen trat ein. Er blieb wie angewurzelt im Flur stehen und sah meine Mutter mit tiefer Verachtung an. »Ist es denn nicht möglich, Gundis, dass ich mich ein Mal, nur ein einziges Mal, auf dich verlassen kann? Wir hatten doch ausführlich am Telefon darüber gesprochen«, schnauzte Jürgen meine Mutter an.
Ich verstand. Jürgen wusste bereits von meinem nächtlichen Ausflug und hatte meine Mutter offensichtlich gebeten, ihre Emotionen im Zaume zu halten und zu warten, bis er dieses Gespräch mit mir führen konnte. »Lass mich mit Christine alleine! Du machst alles nur noch schlimmer! Verstehst du das nicht?«
Mit hängendem Kopf ging meine Mutter ins Wohnzimmer. Jürgen setzte sich auf meinen Schreibtischstuhl und deutete mir mit einer Geste an, dass ich mich auf mein Bett setzen sollte. Ich heulte und schniefte. Es war besser, sofort ehrlich zu Jürgen zu sein, und so erzählte ich ihm ausführlich, warum ich mich in Werner verliebt hatte und wer dieser junge Mann war. Jürgen schüttelte besorgt den Kopf. »Christine! Dieser Werner gehört zu einer Rockergang und ist vorbestraft. Außerdem ist er bekannt dafür, dass er nichts anderes im Sinn hat, als die jungen Mädchen zu ›knallen‹! Hast du mit ihm geschlafen?«
Entgeistert starrte ich Jürgen an. »Wie kommst du denn darauf?«, stieß ich entsetzt hervor und beteuerte meine Unschuld im wahrsten Sinne des Wortes.
»Wenn du deine Mami beruhigen willst, dann musst du morgen mit ihr zum Frauenarzt und dich untersuchen lassen. Sie wird dir erst dann glauben, wenn der Dr. Kappenstein ihr bestätigt, dass du noch Jungfrau bist. Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht. Du weißt doch, wie sie ist, und wenn ich dir helfen soll, dann musst du ihr beweisen, dass du mir gegenüber nicht gelogen hast. Ist doch logisch, oder?«
Ich nickte stumm, und Verzweiflung machte sich in mir breit. Ich fand es entsetzlich erniedrigend, mit meiner Mutter zu Dr. Kappenstein zu gehen und mir anhören zu müssen, wie sie ihn bitten würde, mich verkommenes Mädchen auf meine Jungfräulichkeit hin zu untersuchen. Ich kannte Dr. Kappenstein, weil ich durch das Schwimmtraining gelegentlich mit Pilzinfektionen zu kämpfen gehabt hatte, aber eine richtige gynäkologische Untersuchung hatte der Arzt noch nicht bei mir durchgeführt, sondern lediglich mit einem Wattestäbchen vorsichtig einen Abstrich entnommen.
»Und hör genau zu, Christine! Du versprichst mir, ab sofort nicht mehr mit Jungs herumzumachen, ist das klar?«
Wieder nickte ich. Meine Situation war chancenlos, und ich würde Carla bitten müssen, mit Werner zu sprechen und ihm alles zu erklären. Die Tränen flossen unaufhaltsam, und Jürgen legte seine Hand auf meine Schulter.
»Es wird alles gut, Christine. Ab morgen kommst du zu mir in die Firma, und ich verspreche dir, dass ich deine Mutter in Schach halte, okay?«
Ich nickte ein drittes Mal
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